✰ Rutger Bregman: Im Grunde gut (2021)
Nachdem ich Eine kurze Geschichte der Menschheit von Yuval Harari (2011) mit Begeisterung gelesen hatte, knöpfte ich mir auf Empfehlung eines Freundes Im Grunde gut vor. Während Harari die Entwicklung der Menschheit von seinen Ursprüngen bis in die Neuzeit nachzeichnet und dabei etliche Mythen in Frage stellt und vermeintliches Wissen auch mit Witz und Humor gegen den Strich bürstet, geht Bregman im Wesentlichen zwei Fragen nach:
- Ist der Mensch ein wildes Tier, das nur durch eine dünne Schicht von Kultur und Zivilisation (Fassadentheorie) davon abgehalten wird, über andere herzufallen bzw. andere nach bester Möglichkeit auszunutzen?
- Oder ist es vielleicht ganz anders? Sind wir Menschen aus unserem Inneren heraus einfach eher kooperativ und freundlich und werden nur unter bestimmten Umständen zu Bestien?
Ein großes Verdienst des Autors ist m.E., nicht nur Meinungen zu den konträren Ansichten zu sammeln, sondern sie auch mit Studien und Zahlen (soweit verfügbar) zu belegen. Und da ergibt sich ein ganz anderes Bild als jenes, was uns die täglichen Nachrichten und auch manch zweifelhafte Studie suggerieren wollen.
Bregman macht nichts anderes als das, was er im Untertitel seines Buches andeutet: Eine neue Geschichte der Menschheit zu schreiben. Und das kommt mir recht überzeugend vor.
Ausgehend von den unterschiedlichen Standpunkten der Philosophen Thomas Hobbes und Jean-Jaques Rousseau begeben wir uns mit Bregman auf eine Reise vom Naturzustand der Menschen über die Hintergründe bösartigen Verhaltens hin zu einer differenzierten Sicht auf die guten Qualitäten in uns Menschen. Bregman macht keinen Hehl daraus, dass wir auch zu unglaublichen Gräueltaten fähig sind. Oft ist das aber getriggert durch die Kultur, die wir uns geschaffen haben und in der wir leben. Bregman führt dazu aus, dass Regierende zu allen Zeiten die angeblich bösartige Natur des Menschen als Rechtfertigung für strenge Regeln und Gesetze heranzogen. Nicht zuletzt stachelten Herrschende die Bevölkerung ihrer Länder häufig zu Kriegen und Gräueltaten an, indem sie die Bösartigkeit der Regierung und der Bevölkerung des gegnerischen Landes betonten. Der Mythos von der Bösartigkeit des Menschen wird laut den Analysen von Bregman seit jeher von Herrschenden als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen gepflegt.
Besonders spannend fand ich die Auseinandersetzung mit bekannten sozialpsychologischen Experimenten vor allem aus den 60er und 70er Jahren, die den meisten von uns als Beleg dafür gelten, wie schlecht der Mensch sein kann: Stanley Milgrams Milgram-Experiment mit der Schockmaschine (1961) und Philip Zimbardos Stanford-Prison-Experiment (1971). Sehr detailliert legt Bregman dar, wieviel Fake und Trickserei hinter den publizierten Ergebnissen der Experimente steckt. Möglich wurde das durch die Offenlegung der Untersuchungsunterlagen und die eingehende Untersuchung derselben durch kritische Journalist:innen Anfang dieses Jahrhunderts. Das Erschreckende dabei ist, dass sich die falschen Behauptungen der ursprünglichen Veröffentlichungen sehr viel hartnäckiger halten als die späteren Richtigstellungen.
Anhand vieler Beispiele aus den unterschiedlichsten Bereichen erfahren wir aber auch, dass wir Menschen uns normalerweise eher kooperativ verhalten, dass wir nicht gerne töten oder betrügen, selbst in schwierigen Situationen.
Am Ende seines Buches geht Bregman auf die entscheidende Frage ein, was wir mit diesen Erkenntnissen tun können, wie wir aus dieser Welt eine machen können, in der es sich kooperativ und demokratisch leben lässt mit einem Minimum an Hass, Rassismus und Vorurteilen.
Probieren wir es doch einfach aus!
Jo Grothe
Passend dazu ein Gespräch mit Rutger Bregman aus der SRF-Reihe Sternstunden Philosophie.
Eine Erweiterung des Themas findet sich in der sehenswerten arte-Dokumentation Die faire Gesellschaft – Gerechtigkeitssinn und Egoismus im Duell (Englisch mit deutschen Untertiteln – online bis 24. Februar 2023).