Klimaschutz ist Gesundheitsschutz – Nachbericht zum GWÖ-Salon vom 21.10.2021
Es beginnt wie ein Witz:
Treffen sich eine klimaneutrale Krankenkasse, ein grünes Krankenhaus und eine Klima-Gesundheits-Aktivistin…
…und heraus kommt – kein Witz – eine spannende, facettenreiche Diskussion rund um das Statement: „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“. Dass das Fachmagazin „The Lancet“ bereits 2009 anlässlich der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen feststellte: „Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsbedrohung“, ist dabei alles andere als witzig.
Planetary Health tut not
Medizinstudentin und Ring-Vorlesende Leah Schirren von Health for Future klärt zunächst über bereits bestehende und vermehrt zu erwartende Gesundheitsgefahren auf, die mit der Klimakrise einhergehen. Ziemlich bekannt sein dürften Hitze assoziierte Todesfälle – allein im Hitzesommer 2018 etwa 20.000 Über-65-Jährige. Etwas unbekannter vielleicht die Zunahme an Allergien durch eine verlängerte Pollensaison und neue, vermehrt auftretende Allergene wie Ambrosia. Weniger bekannt ist möglicherweise das Risiko von Infektionskrankheiten durch normalerweise hier nicht heimische, wärmeliebende Erreger. Zum Beispiel sollte man aufgrund von Vibrionen bei >20 Grad Wassertemperatur besser nicht in der Ostsee baden. Über psychische Erkrankungen wurde insbesondere im Kontext der Folgen von Extremwetterereignissen erhebliche Belastungen berichtet. Leah Schirren warb dafür, neben den Gefahren und Kosten des Nicht-Handelns die Co-Benefits, also die positiven Begleiterscheinungen, die Klimaschutzmaßnahmen auf die Gesundheit haben, nicht zu übersehen und zu unterschätzen: Dazu gehören insbesondere Bewegung, gesunde Ernährung, saubere Luft. Die Einhaltung des 1,5 Grad-Zieles könnte allein in Deutschland jährlich 150.000 Menschenleben retten.
Krankenkassen als Gesundheitsförderer?!
Markus Mosig von der BKK Pro Vita lieferte überzeugende Beispiele dafür, wie auch eine Krankenkasse das bio-psycho-soziale Gesundheitsverständnis mit Leben füllen und bei sich selbst anfangen kann. Momentan arbeitet er an der vierten (!) Gemeinwohl-Bilanzierung des Unternehmens mit. Seit 2014 bemüht sich die BKK Pro Vita bereits besonders um Nachhaltigkeit und wirtschaftet inzwischen klimaneutral. Beispielsweise wurden Pendleremissionen durch Fahrgemeinschaften und Homeoffice erheblich reduziert. Dem Unternehmen sei aber nicht nur das Weltklima ein Anliegen sondern auch das Betriebsklima und die Gesundheit der eigenen Mitarbeiter*innen, die täglich Meditation oder Yoga-Kurse bei der Arbeit wahrnehmen können. Markus Mosig beklagte vor allem fehlende gesetzliche Spielräume, um mehr in Prävention und Nachhaltigkeit investieren zu können. Aktuell darf eine gesetzliche Krankenkasse (GKV) pro Jahr gerade einmal durchschnittlich 7,50€ pro versicherter Person für Prävention ausgeben. Projekt „Kita-Kinder für mehr Radfahren gewinnen“ gestoppt wegen „mangelnden Gesundheitsbezugs“. Fortbildung für medizinische Fachangestellte zu „Umweltassistenten“ vom Gesundheitsministerium abgelehnt. Hier darf die Gesundheitspolitik sich gerne noch bewegen, hin zu einem ganzheitlicheren Gesundheitsverständnis und zur Anerkennung der massiven Gesundheitsbedrohung durch die Klimakrise!
Was ist ein „grünes Krankenhaus“?
Seit 2011 arbeitet ein interdisziplinäres Team mit Frank Dzukowski als Inhaber der Stabsstelle für Nachhaltigkeit und Klimamanagement am „grünen UKE“ (UKE = Universitätsklinikum Eppendorf) in Hamburg. Dass ein so großes Krankenhaus auch viel Energie frisst, Müll und Abwässer produziert etc. liegt auf der Hand. Sich an die eigene Nase zu fassen und eigeninitiativ und auf eigene Rechnung daran etwas zu verbessern, ist dagegen überhaupt nicht selbstverständlich. Gesetzlich vorgegeben ist lediglich ein Energiemanagementsystem vorzuhalten. Alles andere ist „good will“.
Erfreulicherweise konnte das UKE bereits 5 Jahre früher als geplant, nämlich schon 2015, einen Emissionsrückgang von 20% vermelden, was insbesondere dem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk zu verdanken ist. „Das ist nur eine Übergangstechnologie“, räumt Frank Dzukowski ein, der aber auch von weiteren größeren und kleineren Projekten zu berichten weiß: Veggie-Day in der Kantine, Wildblumenwiese und Bienenstöcke, Verpackungsreduktion oder –recycling, eine Fahrradwerkstatt, ein Projekt zur Wiederverwendung von Narkosegas, das nur zu 3% tatsächlich vom Patienten in den Körper aufgenommen werde, die Kooperation mit der Stadtentwässerung zur Untersuchung der Abwässer usw. Dort wo es technische Grenzen zur Erlangung von Klimaneutralität oder weiterer Emissionsreduktion gebe, müsse man über Kompensationsmöglichkeiten nachdenken.
Was noch zu tun ist
In der angeregten Diskussion mit den rund 60 Teilnehmenden von Kiel bis nach Wien wurde deutlich, dass es noch viel mehr Kommunikation über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit braucht, beispielsweise:
- mehr Klimaschutz-Themen in der medizinischen Aus- und Weiterbildung
- Diskussionsraum für Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen
- Aufklärung von Patient*innen
- mehr Zutrauen in die Fähigkeit der Menschen, mit der Wahrheit umzugehen, wenn es um die Entwicklung klimafreundlichen Verhaltens auch zum Vorteil der eigenen Gesundheit geht
- mehr Mut, selbst das Thema bei jeder Gelegenheit anzusprechen
- nachdrückliche Appelle an die Politik, Gesundheitsschutz als untrennbar mit Klimaschutz verbunden anzuerkennen und bessere Rahmenbedingungen für die Akteur*innen zu schaffen
Jede*r kann als Multiplikator*in wirken. Außerdem herrschte große Einigkeit darin, dass man sich mehr auf die Kommunikation der Chancen, Vorzüge und Freuden der Veränderung konzentrieren solle, mit „Zukunftszuversicht“ statt Zukunftsangst.
Im Übrigen freuen wir uns über die Offenheit von Frank Dzubowski, sich eingehender mit der GWÖ zu beschäftigen und danken Ilona Koglin für die tolle Moderation, sowie Lenja Rother und Christina Holst für die Organisation und die GWÖ-Infos „von der Seitenlinie“.
Buchtipp von Leah Schirren:
Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän
Herausgegeben von Christian Schulz, Babette Simon, Claudia Traidl-Hoffmann, Martin Herrmann
Neu erschienen im September 2021
Ein großes Dankeschön an Meike Pudlatz für diesen Bericht.