GWÖ und SEND veröffentlichen Positionspapier zur neuen Wahl des AGH
Am 12. Februar 2023 wird in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt. Die Berliner Regionalgruppen des Gemeinwohl-Ökonomie e.V. (GWÖ) und des Social Entrepreneurship Netzerk Deutschland e.V. (SEND) haben zusammen Forderungen an die Berliner Politik formuliert.
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VORWORT
Die aktuellen komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen brauchen Antworten und integriertes Handeln mit Blick auf systemische Zusammenhänge. Besonders im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transformation wird die Verantwortung von Unternehmen zunehmend thematisiert. Gemeinwohlorientierten sowie Sozialunternehmen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie gelten als Pionierunternehmen einer neuen Art zu wirtschaften, deren Sinn und Zweck die Erfüllung sozialer und ökologischer Ziele darstellen. Das konsequente Verfolgen dieser Ziele führt allerdings, bedingt durch die aktuellen Rahmenbedingungen, zu vielfachen Benachteiligungen – sowohl am Markt als auch bei der Aufnahme von Krediten und der Vergabe öffentlicher Förderungen.
Dabei machen Sozialunternehmen fast 5% der Berliner Unternehmen aus. Sie beschäftigen etwa 14% aller Berliner:innen und erwirtschaften mehr als 5% der Bruttowertschöpfung der Stadt. Weitere Sozialunternehmen sind als Vereine organisiert.
UNSERE POSITIONEN FÜR DIE LANDTAGSWAHL 2023
In diesem Positionspapier möchten wir konkrete Optionen für die nächste Landesregierung aufzeigen, wie die Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientierte sowie Sozialunternehmen in Berlin verbessert werden können. Wir bieten der Politik damit eine Handreichung, um unsere gebündelten Erfahrungen als Expert:innen zur sozial-ökologischen Transformation in Berlin zu nutzen. Wir sehen Prioritäten:
I. LANDESHAUSHALT WIRKUNGSORIENTIERT AUFSTELLEN
Der Berliner Haushalt und neue Gesetze müssen wirkungsorientiert ausgerichtet sein: Sie müssen konsequent auf den Klimaschutz und die globalen Entwicklungsziele einzahlen. Berlin muss sich Paris-konform verhalten und wirken. Alle Haushaltsposten sollten bei der Planung und im Reporting anhand qualitativer und/oder quantitativer Indikatoren bewertet werden, incl. Investitionen und Fördermittel. Als eines der drei letzten Bundesländer ohne Nachhaltigkeitsstrategie muss Berlin die im Koalitionsvertrag 2021-2026 festgehaltene Erstellung einer Nachhaltigkeitsstrategie konsequent verfolgen und priorisieren. Mit konkreten, abrechenbaren und terminierten Zielen sollte die Nachhaltigkeitsstrategie in allen künftigen Strategien (z.B. Innovationsstrategie, Startup-Agenda) Anwendung finden. Dabei werden Bürger:inneninitiativen wie z.B. “Klimaneutral 2030” als willkommene Multiplikator:innen wahrgenommen.
II. ÖFFENTLICHE AUFTRAGSVERGABE REFORMIEREN
Sozialunternehmen erhalten verbesserten Zugang zu öffentlichen Aufträgen und Fördermitteln, der ihrer positiven gesellschaftlichen Wirkung gerecht wird. Die öffentliche Verwaltung wird durch systematische Schulungen über die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Kriterien in der öffentlichen Beschaffung sensibilisiert. Gemeinwohlorientierte sowie Sozialunternehmen, wie z.B. HUMANA, welche aus dem Verkauf gesammelter Kleidung Geld erwirtschaften, setzen diese Gewinne zu 100% für Umwelt und Entwicklung ein. Bei den Ausschreibungen kommt es wegen Unsicherheit in den Berliner Bezirken häufig zu einer unterschiedlichen Bewertung, ob eine Teilnahme an Stellplatzausschreibungen zulässig ist. Einige Bezirke bewerten die Aktivitäten als gemeinwohlorientiert und lassen zu, andere setzen Gemeinnützigkeit als Zulassungskriterium voraus. Wir plädieren für eine einheitliche Bewertung zugunsten der gemeinwohlorientierten Ausrichtung der Unternehmen.
III. ANGEBOTE FÜR SOCIAL ENTREPRENEURSHIP AUSWEITEN
Alle öffentlich geförderten Inkubations- und Akzelerationsprogramme werden durch systematische Bildungsangebote zum gemeinwohlorientierten Unternehmertum erweitert. Gründer:innen und Unternehmer:innen lernen frühzeitig und langfristig, wie sie gemeinwohlorientierte Unternehmungen starten, etablieren und wachsen lassen. Bestehende und erfolgreiche Angebote wie “Social Economy Berlin” oder “Ort des nachhaltigen Wirtschaftens”, wie z.B. das Wandelwerk in Köln, werden dafür geschaffen, verstetigt und weiter ausgebaut.
IV. NEUE FINANZIERUNGSFORMEN ETABLIEREN
Berlin wird bei neuen Finanzierungsformen Vorreiter und inspiriert so auch die private Kapitalgeber:innenwirtschaft zur Erweiterung ihrer Angebote. Es sollten dafür alle öffentlichen Förderprogramme auf ihren Beitrag zu den Transformationsbedarfen und zum Gemeinwohl geprüft werden. Mit neuen Angeboten, die neben ökonomischen auch ökologische und / oder soziale Ziele als Erfolgskennzahlen mit einbeziehen, wird der Fokus auf gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle gelegt, die ein nachhaltiger Jobmotor für Berlin sind. Es werden neue Konzepte im Bereich Darlehens-, Umsatz- oder Wirkungsorientierungsfinanzierung erprobt und, wenn erfolgreich, verstetigt. Im Bereich der personenbezogenen Finanzierung werden Stipendien prioritär an Gründer:innen vergeben, die Leistungen für gesellschaftliche Herausforderungen Berlins, Europas und der Welt entwickeln und anbieten.
V. WIRKUNGSORIENTIERTE BERICHTERSTATTUNG FÖRDERN
Für eine strategische Ausrichtung aller Unternehmen auf die gesellschaftlichen Herausforderungen wird die Wirkungsmessung finanziell gefördert. Diese Förderung gilt für Unternehmen, die bereits heute ihre sozial-ökologische Wirkung messen und berichten, als auch für die Unternehmen, die damit beginnen möchten. Eine finanzielle Förderung von Gemeinwohl-Bilanzen findet sich z.B. im neunen Koalitionsvertrag von Niedersachsen oder bereits integriert in Stuttgart wieder. Hier können kommunale Betriebe in Hamburg, München, Köln, Bremen, Stuttgart, etc., als Vorbild dienen, die bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben oder aktuell dabei sind.
ÜBER DIE VERFASSER:INNEN
Dieses Positionspapier ist eine Gemeinschaftsarbeit des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. und seiner Regionalgruppe Berlin sowie der Berliner Regionalgruppe des Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg e.V..
Der gemeinnützige Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V., arbeitet für eine Gesellschaft, in der alle Menschen von Fortschritt profitieren. Deshalb vernetzen wir seit 2017 den Social Entrepreneurship-Sektor und geben ihm eine Stimme. Bei all dem gilt unser Leitmotiv: #GemeinsamWirken. Wir wissen, dass wir die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft nur gemeinsam mit vielen anderen – öffentlichen wie privaten – Institutionen und Akteuren schaffen können und entwickeln deshalb Allianzen und Kooperationen mit Wirtschaft, Wohlfahrt, Wissenschaft und Politik. Ein wichtiger Schritt unserer Arbeit war die Verankerung von sozialen Innovationen als Querschnittsthema im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung. Wir haben 800 Mitglieder, davon mehr als 140 in Berlin, vertreten durch die Regionalgruppe SEND Berlin.
Benjamin Maischak, Julia Breidenstein, Regionalgruppensprecher:innen Berlin, berlin@send-ev.de – www.send-ev.de
Unter dem Dach der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) engagieren sich weltweit mehr als 2.000 Unternehmen und 5.000 Menschen in 200 Regionalgruppen für die Ausrichtung wirtschaftlicher und politischer Aktivitäten am Gemeinwohl. Der EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm 2015 eine eigeninitiierte Stellungnahme zur GWÖ mit 86 Prozent Stimmenmehrheit an und empfahl ihre Umsetzung in der EU. Die Gemeinwohl-Bilanz ist zudem EU-anerkanntes Format für CSR-Berichterstattung. In Berlin wurden knapp 100 Gemeinwohl-Bilanzen erstellt und u.a. auch das Umweltamt Treptow-Köpenick hat sich mit der Erstellung eines Gemeinwohl-Berichts vertraut gemacht. Im Netzwerk der Gemeinwohl-Ökonomie Unternehmen Berlin-Brandenburg finden sich 20 Unternehmen, die über die Gemeinwohl-Bilanz hinaus stärker in Kooperation treten und gemeinwohl-orientierte Projekte innerhalb und außerhalb ihrer Organisationen initiieren.
Jelmen Guhlke, Neno Rieger, AK Politik & Gesellschaft Berlin-Brandenburg, berlin-brandenburg@econgood.org – germany.econgood.org