Rezension: Roman über Arbeit und Gemeinwohl-Ökonomie
Mit „Mallingers Abschied oder Vom Sinn und vom Unsinn der Arbeit“ veranschaulicht der Autor Sven Hartberger ökonomische Aspekte von Arbeit in Romanform. Ein Psychotherapeut als Ich-Erzähler reflektiert dabei verschiedene Fälle aus seiner Praxis, die in unterschiedlicher Weise die psychischen Probleme von Klienten durch die neoliberale Ausrichtung der Arbeitswelt auf Gewinnmaximierung dokumentieren. Diese Fallerzählungen regen zum kritischen Nachdenken an, und zwar auch über persönliche Narrative. Hier einige Anmerkungen aus ökonomischer Sicht.
Für die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung zur immer dringlicher werdenden Frage nach generellen und umfassenden Arbeitszeitverkürzungen kann für Interessierte die Verbindung von Belletristik und Fachliteratur, also mit den realen wirtschaftswissenschaftlichen Quellen zum Thema „Arbeitszeit und Gemeinwohl“, faszinierend sein. Hier gelingt es dem Autor, in der romanhaften Erzählung über den Tod des Ökonomen Dr. Mallinger die Modelle der konkurrierenden Ökonomielehren (Keynesianismus, Neoklassik, Neoliberalismus) perfekt einzubinden. Dabei werden die Leser auch über die manipulative Verwendung von Zitaten bedeutender Ökonomen aufgeklärt, z. B. die Metapher über die unsichtbare Hand von Adam Smith (Begründer der National-Ökonomie). Smith verwendete die Metapher für mikroökonomische Gegebenheiten. Diese wird aktuell aber von nicht wenigen neoklassischen bzw. neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlern als fast schon religiös verbrämte Begründung eines von staatlichen Eingriffen bzw. staatlicher Steuerung freien, sich selbst regulierenden Marktes auf makroökonomischer Ebene, zum Vorteil der obersten Gesellschaftsschichten missbraucht.
Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der dringenden Notwendigkeit einer umfänglichen Arbeitszeitverkürzung sind die Hinweise des Erzählers auf die wirtschaftswissenschaftlichen Begründungen der Sinnhaftigkeit dieser Forderung. Es dürfte wohl bei nicht wenigen bereits in Vergessenheit geraten sein, dass der weltweit geschätzte Ökonom John Maynard Keynes vor fast hundert Jahren, und zwar im Jahre 1930, die Möglichkeit einer Arbeitszeitverkürzung auf 15 Wochenstunden aufzeigte. Seine Prognose zur Umsetzung beruhte auf der Erkenntnis der Produktivitätssteigerungen durch technischen Fortschritt. Keynes‘ Norm-Arbeitszeit von 15 Stunden bezog er ja auf das Jahr 2030. In einem gemeinwohlorientierten Wirtschaftssystem wäre diese Prognose längst Realität. Hier zeigt der Autor durch Mallingers Situations-Analyse die zerstörerische Ideologie einer kleinen Gruppe von Ökonomen in der von Friedrich August von Hayek im Jahr 1947 gegründeten Mont Pèlerin Society als wichtige Ursache auf. Diese Ideologie der finanziellen und gesellschaftspolitischen Herrschaft von wenigen, setzte sich vor allem in den letzten vier Jahrzehnten durch. Sie bewirkt, dass zwar der durch Arbeit von vielen geschaffene „Kuchen“ riesig wurde und auch weiter wächst, aber die Verteilung auf nur Wenige die Regel ist. Der Feststellung im „Räsonnement des Doktor Mallinger“, dass neue Erfindungen buchstäblich für alles eingesetzt wurden, nur nicht dafür, Menschen von der Arbeit zu entlasten, kann man kaum widersprechen. Mallingers Fazit: Ohne Überwindung dieses Systems wird es weder umfassende Verkürzungen der Wochenarbeitsstunden noch eine gelingende Zukunft der Gesellschaft geben. Dass dabei auch die vom Ich-Erzähler bereits genannten ökologischen negativen Folgen von Arbeit im aktuellen Wirtschaftsmodell eine wichtige Rolle spielen, unterstreicht die dringende Notwendigkeit der Gesamtbewertung von Arbeit. Interessant ist dabei auch die Feststellung, dass der vor allem in Kunst und Kultur beheimatete Autor die negativen Auswirkungen der Profit-Maximierung und der rein monetären Bewertung von Erfolg in diesem Bereich autobiografisch authentisch im Roman verarbeitete. Damit unterstreicht er die realen Gegebenheiten eines kulturellen Niedergangs im System der neoliberalen Ideologie.
Kritisch kann man die zustimmenden Einlassungen zum sog. Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) bewerten. Zwar befürworteten bei einer Umfrage der Bertelsmann-Gesellschaft rund 88 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine neue Wirtschaftsordnung statt Neoliberalismus, aber die Zustimmung zu einem BGE wird wohl aktuell eher im einstelligen Bereich zu erreichen sein. Deshalb könnten kritisch eingestellte Sachbuch-Leser diese Einlassung eher als „Wunschkonzert“ und nicht als wirtschaftswissenschaftlich fundierte Forderung einstufen.
Im letzten Teil des Buches scheut sich der Autor nicht, im virtuos verfassten „Abschied des Doktor Mallinger“ das Menschenrecht auf Eigentum zu relativieren. In der aktuellen Form verletzt es immer wieder auch das Recht auf Leben. Deshalb muss das dominierende Eigentumsrecht revidiert und auch eine Begrenzung des Eigentums diskutiert werden.
Eine mögliche konstruktive und zukunftssichernde Lösung sieht der Ich-Erzähler im derzeit umfassend diskutierten Wirtschaftsmodell „Gemeinwohl-Ökonomie“. Und unbestreitbar ermöglicht dieses Modell, ein für eine gelingende Zukunft sinnvoll gestaltetes Arbeitsvolumen umzusetzen. Dass der Erzähler dabei im Epilog auch die Einbindung der Konzepte und Modelle von Wissenschaftlern, z. B. von Kate Raworth, Silke Helfrich, Thomas Piketty und Amartya Sen, fordert, unterstreicht die Offenheit für einen umfassenden Diskurs über die besten Lösungswege. Diese Offenheit bietet das demokratisch verfasste Modell der Gemeinwohl-Ökonomie.
Wertvoll für alle an einer Vertiefung der Kenntnisse in wirtschaftswissenschaftlichen Themen Interessierte sind auch die textlich verarbeiteten Literaturhinweise auf den ersten beiden Seiten des Epilogs.
Mein Fazit:
Für passionierte Fachliteratur-Leser ist die Einbindung fundierter wirtschaftswissenschaftlicher Aussagen in einen Roman sicherlich gewöhnungsbedürftig. Absolut ein Gewinn sind die fachlichen Ausführungen jedoch für alle Leser, also auch für die hoffentlich ebenso zahlreichen passionierten Anhänger der Belletristik, da ökonomische Zusammenhänge in diesem Roman über die Erzählform umfassend erklärt werden. Für eine Belletristik-Beurteilung zu „Mallingers Abschied“ fehlt mir jedoch die literarische Kompetenz. Zusammenfassend wage ich trotzdem eine Aussage: Ein absolut lesenswertes Buch!
Anmerkung des Rezensenten: Aus Gründen der flüssigen Lesbarkeit wurde im gesamten Text grundsätzlich die maskuline Form angewandt. Alle Geschlechter sind jedoch gleichermaßen angesprochen.
Autor: Günter Grzega