Nachhaltige Unternehmen brauchen eine Wertebilanz
Wolnzach. Unter dem Thema „Gemeinwohlökonomie (=GWÖ) in der Praxis“ hatten der ÖDP Kreisverband und die GWÖ-Regionalgruppe Pfaffenhofen zu einem Vortrag mit Diskussion eingeladen.
„Produktzertifizierung, Qualitätsmanagement, IT-Sicherheit, ISO-Zertifizierungen – in unserem 30-Mann-Betrieb musste ein Hochschulabsolvent ganztags eingestellt werden, nur um die vorgeschriebenen Nachweise zu erbringen. Warum sollten wir freiwillig auch noch das Gemeinwohlzertifikat der GWÖ anstreben? Was würde das dem Unternehmen bringen? Wie hoch wäre der personelle und finanzielle Aufwand; der zeitliche Rahmen?“, fragte kritisch einer der Teilnehmer. Im restlos besetzten Nebenzimmer der Gasstätte Zur Post sind sich nach dem Vortrag von Jörn Wiedemann alle einig, dass die Gemeinwohlökonomie mehr als eine gute Idee ist. Aber ist sie auch praxistauglich? Der Referent verweist auf die Unternehmen und Gemeinden, die zum Teil bereits seit vielen Jahren eine Gemeinwohl Bilanz erstellen. Unter ihnen Banken, Biobäckereien, Textilunternehmen, seit kurzem eine Krankenkasse und viele andere. Sie alle schrieben gute Zahlen, hätten kaum Probleme mit der Motivation der Mitarbeiter oder der Zufriedenheit der Kunden und würden zeigen, dass die Gemeinwohlökonomie den Praxistest bestanden hat. Bereits vorliegende Zertifizierungen würden in die Gemeinwohlbilanz einfließen und einen Teil der Fragen abdecken, die für das GWÖ-Testat beantwortet werden müssen. Je nach Betriebsgröße sei mit einem zeitlichen Aufwand zwischen 80 und 200 Stunden zu rechnen, die jedoch – vor allem, wenn sie im Team und mit anderen Unternehmen zusammen geleistet werden – sogar Spaß und Motivation bringen könnten. Wiedemann, ein ehemaliger Banker, fing während der Bankenkrise an, am herrschenden Wirtschaftssystem zu zweifeln, gab 2012 seinem Beruf auf und arbeitet seitdem als Berater und Trainer für Personalentwicklungsthemen und nachhaltiges Wirtschaften.
Neben dieser selbstständigen Tätigkeit hat er bereits mehr als 20 Unternehmen bei der Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz begleitet, derzeit die Energiegenossenschaften Pfaffenhofen und Neuburg Schrobenhausen. Seiner Meinung nach ist die Gemeinwohl-Bilanz das beste, weil umfassendste, Instrument der Unternehmensentwicklung. Die Gemeinwohl-Ökonomie sei aber nicht dogmatisch und werde unter Beteiligung aller stetig weiterentwickelt. Die Fragen zu den vier Kategorien Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, und Transparenz und Mitentscheidung würden einen 360° Rundumblick auf alle Interessens- bzw. Stakeholder-Gruppen ermöglichen.
Immer mehr Verbraucher und Geschäftspartner würden Fragen zur Nachhaltigkeit der Produkte und Dienstleistungen, zu Lieferketten oder zum sozialen Engagement der Unternehmen stellen und Transparenz fordern. Dieser Trend werde sich in Zukunft, auch durch die Fridays for Future-Bewegung, weiter verstärken. Mit einer Gemeinwohl-Bilanz könnte ein Unternehmen diesem Bedürfnis entgegenkommen, und sich als vertrauenswürdig ausweisen. Die Auditierung durch den unabhängige Auditoren gäben den Verbrauchen, den Lieferanten und den Mitarbeitern die Garantie, dass die ihnen wichtigen Werte auch im Unternehmen gelebt und unterstützt werden. Der finanzielle Aufwand sei im Vergleich, z. B. zu den ISO- Zertifizierungen, gering.
Zwei Anwesende entschieden sich nach dem stark beklatschten Vortrag von Jörn Wiedemann spontan Mitglied bei der GWÖ-Regionalgruppe Pfaffenhofen zu werden, so dass die Gruppe wegen der jetzt erreichten Gruppenstärke voraussichtlich im Januar den Status „aktiv“ bekommen wird. Darüber freuten sich neben dem Referenten auch die anwesenden Gründer und Koordinatoren der Gruppe Judith Neumair und Manfred“Mensch“Mayer.