Die Abgabe von Macht ist ein Zugewinn von Erfolg
Zwei Hamburger Firmenchefs und ein agiler Coach berichten über ihre Wege und Erfahrungen mit mehr Teilhabe und Transparenz im eigenen Unternehmen.
Der Andrang ist groß. Über hundert Gäste von Wien bis Kiel wollen online die Erfahrungsberichte dreier Hamburger*innen hören, die gerade ihre Unternehmen zu mehr Sinnstiftung, Wertschätzung und Kooperation umkrempeln. Im GWÖ-Salon vom 28. Januar 2021 dreht sich alles um das Thema „Mitarbeiten – Mitentscheiden?“. Dabei geht es auch um die von Moderatorin Dr. Tina Röbel so treffend formulierte Frage: Wie können Transparenz und Teilhabe einen Beitrag für eine gemeinwohl-orientierte Zukunft leisten?
Ewa Scherwinsky bei der Otto GmbH & Co KG hat es da vielleicht am schwersten. Als Agiler Coach in Teilzeit arbeitet sie in einem Konzern mit 50.000 Mitarbeiter*innen weltweit, dessen Strukturen historisch stark hierarchisch und durch Tochtergesellschaften sehr heterogen und divers geprägt sind. Sie vergleicht ihre Arbeit am Kulturwandel im Konzern mit dem Fahren eines großen Tankers, den sie auf halber Strecke umdrehen möchte. Und das gehe eben nur mit einer „Strategie der kleinen Schritte“, der „ Entdeckung der Langsamkeit“ und „ganz viel Geduld“. Mit dem Holzhammer, so ihre Erfahrung, komme man hier nicht weiter: „Wenn die Führung nicht mitzieht, wird es schwierig.“ Darum versucht sie zunächst, die Führung für neue Ideen zu gewinnen, indem sie Einzelpersonen und Teams in ihren Verhaltensmustern und Denken herausfordert. Zurzeit arbeite sie daran, „sanktionsfreie Räume“ zu schaffen. Also ein Klima herzustellen, in dem sich Menschen überhaupt trauen, ihre Meinungen zu äußern, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.
Ganz anders agieren kann da Ole Langbehn von der Softwareentwicklungs-Firma inoio GmbH. Seine Firma befindet sich derzeit im Prozess der Gemeinwohl-Bilanzierung. Für den Geschäftsführer und seine zwei Teilhaber war von Anfang an klar: Ihnen geht es nicht nur um Gewinn, sondern auch um die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden. Allen drei Geschäftsführern ist es wichtig, dass ihre 15 Mitarbeiter*innen auch mitentscheiden. Dies haben sie in drei Schritten erreicht. Zunächst wurden hierarchische Gefälle in der Teamarbeit beseitigt. Kritik am Geschäftsführer ist erwünscht. Langbehn weiß: „Ich habe ja nicht von allem die meiste Ahnung im technischen Sinne. Es war klar, hier kann gut diskutiert werden.“ Diese positive Diskussionskultur wurde ausgeweitet auf wöchentliche Treffen und Kulturtage, die zwei Mal im Jahr stattfinden. Hier werden wichtige Themen intensiver diskutiert und Entscheidungen getroffen. Außerdem sind alle Geschäftszahlen transparent. Langbehn sagt: „Auch die Mitarbeiter*innen haben ein Recht zu wissen, wie es der Firma geht.“ All das führte in acht Jahren zu einer Kultur der Sicherheit, so Langbehn, wo Ideen gehört, aufgenommen und umgesetzt werden. Entscheidungen werden von den Mitarbeitenden getroffen. Nicht jede*r muss, aber jede*r kann entscheiden. Langbehn sagt: „Fehler dürfen und sollen sogar gemacht werden, weil darüber ein großer Lerneffekt stattfindet.“ Sein Fazit: Partizipation kann nicht von oben verordnet werden, sondern muss sich entwickeln.
Im zweiten Schritt wurde die Entscheidungsfindung verbessert. Langbehn erzählt von dem gemeinsamen Wunsch nach einem Sofa, für dessen Anschaffung die Mitarbeiter*innen fast drei Monate brauchten und was für viel Unmut im Team sorgte. Ein Coach und zwei Tools (Fist of Five und Delegation Poker) halfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und dabei alle daran Interessierten auf dem Weg mitzunehmen.
Am dritten Schritt arbeitet Langbehn und sein Team noch heute. Denn das Einzige was bei ihnen nicht gemeinsam entschieden wird, sind die Gehälter. Langbehn sagt: „Hierfür bräuchte es transparente Gehälter. Die haben wir bei der Firmengründung durch fehlendes Bewusstsein nicht eingeführt. Im Nachhinein ist das nun schwierig. Wir haben noch nicht genug Schmerz empfunden und Energie aufgebracht, um das zu ändern.“ Ein Punkt, der ihn sehr stört.
Auch Nikolaus Förster, Geschäftsführer der Impulse Medien GmbH, hat sich für Teilhabe und Transparenz entschieden und so seiner Firma das erfolgreichste Jahr seiner Unternehmensgeschichte bereitet. Durch Corona hatte sein Verlag im Frühjahr einen Umsatz-Verlust von einer Million Euro zu verzeichnen. Förster sagt: „Wir standen mit dem Rücken zur Wand. Uns war klar, wir mussten die Kosten reduzieren.“ Die Unterlagen für Kurzarbeit waren fertig, doch über Nacht entschied er sich dagegen. Aus Angst vor dem unternehmerischen Korsett, das ihm die Kurzarbeit aufzwängen und in seiner freien Entscheidung beschneiden würde. So suchte er nach einem Modell, das es jedem seiner 40 fest angestellten Mitarbeiter*innen ermöglichte, das zu tun, was für ihn oder sie individuell möglich war, um die Firma am Laufen zu halten. Einige verzichteten auf ihre Stelle, weil diese gerade nicht so gebraucht wurde. Andere auf Teil des Gehalts, Überstunden oder Urlaub. Hinter allem stand Försters Versprechen in Form eines sogenannten Besserungsscheins. Die Idee: Sobald es der Firma besser geht, bekommen die Mitarbeitenden die ausgesetzten Gelder zurückgezahlt. Förster sagt: „Alle haben mitgezogen, freiwillig, weil wir alle Zahlen transparent gemacht haben. Alle wussten, wie es um uns stand.“ Das Konzept ging auf. Förster sagt: „Bereits Ende Oktober und im November konnte ich alles Geld an die Mitarbeiter*innen zurückzahlen.“ Mitentscheiden bedeutet seiner Meinung nach auch unternehmerisch Mitverantwortung zu übernehmen.
Um eine bessere Unternehmenskultur aufzubauen, nutzt Förster ebenfalls Tools. Mittels der Visioning-Methode haben seine Mitarbeitenden in zehn Workshops eine Vision ausgearbeitet, wo das Unternehmen in fünf Jahren stehen soll: Auszubildende waren genauso dabei wie Mitglieder der Chefredaktion. Text und Abstimmungen werden komplett im Team erarbeitet. Das helfe bei der Umsetzung, so Förster. Er ist überzeugt: „Immer mehr Unternehmer*innen in Deutschland haben verstanden, dass es kein Abgeben von Macht ist, sondern ein Zugewinn von Erfolg. Erfolgreich ist man nie allein, sondern immer nur im Team.“
Zurück zur großen Anfangsfrage: Wie kann mit mehr Teilhabe und Transparenz der ökologischen, sozialen und Sinn-Krise unserer Zeit begegnet werden?
„Durch Partizipation“, ist sich Ole Langbehn sicher, „kommt es zu nachhaltigeren Entscheidungen. Man kommt weg vom Management im Glasturm und hin zu Entscheidungen, die dichter am Menschen sind.“ Er nennt als Beispiel seinen Firmenumzug. Alle Mitarbeitenden durften sich eine Aufgabe aussuchen, die sie erfüllen wollten. Der Kollege, der sich um Reinigungskräfte kümmerte, habe gleich einen Schwerpunkt auf gute Arbeitsbedingungen gelegt. Langbehn sagt: „Darauf wäre ich damals nicht gekommen und hätte auch keine Zeit dafür gehabt.“
Für Ewa Scherwinsky führen Mitentscheidungsprozesse zu mehr Verständnis für die ganzen Geschäftsprozesse. Das bringt Menschen dazu, ressourcenschonendere Prozesse zu entwickeln und etablieren. Vorgelebte Veränderungen, sagt sie, führen wiederum dazu, selber etwas an sich zu verändern und eine neue Haltung zu bekommen. Dadurch entstehen neue Ansprüche im Unternehmen, was wiederum die Führungsebene beeinflusst. So wird viel emanzipatorisches Potential freigesetzt – innerhalb und außerhalb vom Arbeitskontext. Nikolaus Förster sieht im Mitgestalten schlicht den Schlüssel zum Erfolg für Unternehmen. Wer seiner Arbeit keinen Sinn vermitteln kann, so meint er, wird in Zukunft keine Mitarbeiter*innen mehr finden und letztendlich vom Markt verschwinden.
Ein großes Dankeschön an Daniela Pemöller für diesen Bericht.