Koordinatoren der Gemeinwohlökonomie Wasserburg erklären: „Corona deckt die Defizite auf“
Sie glauben nicht daran, dass Corona die Lösung für mehr Solidarität und Gemeinwohl in der Bevölkerung ist: Werner Furtner (links) und Albert Bernstetter von der Gemeinwohlökonomie Wasserburg. © Huber
Solidarität und Gemeinwohl sind Wörter, die in Coronazeiten inflationär benutzt werden. Albert Bernstetter und Werner Furtner, die die Regionalgruppe der Gemeinwohlökonomie in Wasserburg leiten, verraten im Interview, warum ihre Hoffnungen auf mehr Gemeinwohlorientierung dennoch enttäuscht wurden.
Werner Furtner: Je länger es dauert, umso weniger. Wir haben in der ersten Welle eine ungeheuer große Solidarität erlebt. Aber inzwischen kommen bei mir andere Fragen auf: Warum muss ich jetzt nach Mallorca fliegen? Das ist nicht gemeinwohlorientiert. Da denke ich wieder eher an mich selbst und sage: Mir muss es jetzt gut gehen, ich möchte jetzt Urlaub machen.
Gemeinwohl-Ökonomie: Ziel, das gute Leben für alle
Gemeinwohl-Ökonomie bezeichnet sich selbst als ethische Marktwirtschaft, deren Zeil nicht die Vermehrung von Geldkapital, sondern das gute Leben für alle ist. Die Werte der Gemeinwohl-Ökonomie umfassen die Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, sowie Transparenz und Mitentscheidung. Seit Juni 2019 ist die Gemeinwohl-Ökonomie mit einer Regionalgruppe in Wasserburg vertreten. Die Gruppe möchte dabei sowohl Bürger, Gemeinden, als auch Unternehmen zu einem gemeinwohlorientierten Leben beraten. Insbesondere die Gemeinwohlforen für Gemeinderäte und Mitglieder der Gemeindeverwaltung sind laut Furtner und Bernstetter sehr erfolgreich. Hier sind etwa 40 Vertretern aus den Kommunen der Region mit dabei.
Meine große Befürchtung ist, dass es eher eine Lagerbildung gibt. Wer schon ökologisch und nachhaltig denkt, bei dem wird das Thema Nachhaltigkeit und Gemeinwohl noch verstärkt. Bei den anderen fällt es noch hinten runter.
Was wir aber sehen, bezogen auf Unternehmen wird das Thema immer größer, der Druck wird größer, die Konsumenten fragen nach, die Politik nimmt es immer öfter in den Mund. Weil sie sehen: Es geht nicht mehr, uns sind die Wertschöpfungsketten, die Lieferketten weggebrochen. Das ist ein großes Thema, aber ob es insgesamt besser wird, da habe ich meine Zweifel.
Kann man also sagen, dass Corona die Probleme aufdeckt?
Furtner: Ja, definitv. Die Defizite werden sichtbar.
Albert Bernstetter: Bei der Mehrheit ist auch jetzt noch der Grundbaustein da. Aber insgesamt ist eine Abwendung von der Gemeinwohlorientierung zu merken. Man hat dieses Gesamtproblem, dass man nur gemeinsam lösen kann, ein bisschen aus dem Blick verloren und es ist wieder in diese klassische geldorientierte Mentalität gefallen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Bernstetter: Masken. Unternehmen machen Profit mit Masken, Apotheker machen Profit mit Masken, Politiker machen Profit mit Masken. Dasselbe Spiel haben wir auch beim Impfstoff. Man hat dort die Gemeinwohlorientierung verloren aufgrund einer Profitorientierung. In den 50er Jahren wurde der Impfstoff für Kinderlähmung entwickelt, dessen Entwicklungsteam hat die Impfpatente der UNO geschenkt. Unter Corona werden 95 Prozent der Impfstoffe, die verfügbar sind, in den Industrienationen verimpft. Da ist keine Gemeinwohlorientierung vorhanden.
Heißt das, die Menschen haben die Geduld für die Gemeinwohlorientierung verloren?
Bernstetter: Ich glaube, das geldorientierte Denken, wirkt nach wie vor. Diese gibt es auch in der Nachhaltigkeitsthematik. Zum Beispiel die Produkte, die aktuell in den großen Supermarktketten angeboten werden: Es ist lobenswert, dass sie sich in diese Richtung orientieren wollen, man muss sich aber die Frage stellen, ob es nicht nur darum geht, ein neues Produkt auf den Markt bringen kann. Es ist keine Orientierung in die Richtung, dass ich meinen Lebensstil verändere, sondern es geht um ein Produkt, dass ich gut vermarken kann und Gewinne erschöpfen kann. Das ist der falsche Antrieb, um die Themen, die uns in der Zukunft bewegen, wirklich zu lösen.
Furtner: Da geht es um Nachhaltigkeit als Verkaufsargument, aber nicht um Nachhaltigkeit in der Grundhaltung eines Unternehmens.
Und woran scheitert es, diese Grundhaltung einzunehmen?
Furtner: Es scheitert daran, dass im konventionellen Denken der Glaubenssatz, wirkliche Nachhaltigkeit ist nur teuer, nicht wirtschaftlich und mit Regularien verbunden, verankert ist.
Bernstetter: Die klassische Unternehmensführung basiert darauf, dass ich als Unternehmensleiter die Oberhand in allen Prozessen und im Unternehmen habe. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass ich in diesem Bereich auch loslassen kann, dass ich Verantwortung meinem Mitarbeiter gegenüber ausspreche. Gemeinwohlökonomie ist nicht neu, es ist ein altes Wissen, Kaufmannsehre war schon immer gemeinwohlorientiert.
Wenn Corona nicht die Lösung ist, wie bekommen wir dann das konventionelle Denken los?
Furtner: In der klassischen Organisationsentwicklung spricht man hier von einer Veränderung der Unternehmenskultur auf einer gemeinwohlorientierten Ebene. Das Miteinander muss sich verändern.
Und wie soll das gehen?
Bernstetter: Wir müssen in kleinen Schritten die Menschen überzeugen. Nicht jedes Unternehmen muss alle Punkte jetzt erfüllen, aber jeder kann sich einen Teilaspekt aussuchen, der ihm wichtig ist. Oft machen sich diese Unternehmen dann auch auf den Gesamtweg. Dieser Wandel ist auch als Chance, denn man beginnt wieder Dinge infrage zu stellen und neu zu denken.
Furtner: Wir treffen zum Beispiel immer wieder auf Unternehmer, die sagen, es wäre schön, wenn meine Mitarbeiter und Führungskräfte mehr unternehmerisch denken würden. Aber wie sollen sie das lernen, wenn ich die Mitarbeiter nicht mitarbeiten lasse und nicht mitentscheiden lasse und keine Transparenz da ist. Die Unternehmen, die auf dem Gemeinwohlweg gehen, haben viel mehr Kraft. Wir brauchen hier eine Weiterentwicklung der Unternehmenskultur hin zu einer Nachhaltigkeit und der Gemeinwohlorientierung.
Und wie steht es mit der Region Wasserburg? Wie gemeinwohlökonomisch ist das Wasserburger Land?
Furtner: Es gibt auf jeden Fall noch Luft nach oben.(lacht). Aber es gibt positive Beispiele von Unternehmen. Und, wir haben Kommunen in der Umgebung, die sich nun in eine Fairtradegemeinde entwickeln.
Bernstetter: Es sind viele Firmen, die schon lange so unterwegs waren, die sich nun zertifizieren lassen, um dies auch nach außen zu zeigen. Sie haben einfach andere Konzepte, wie man mit den Mitarbeitern umgeht. Sie stehen im Austausch miteinander und versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden.