Wir alle sind Entwicklungsländer
Bericht zur Online-Veranstaltung vom 16. März 2021: „Donut-Ökonomie – ein Kompass für zukunftsfähiges Handeln“
Mit ihrem 2017 erstmals veröffentlichten Buch die „Donut-Ökonomie“ ist die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth weltweit berühmt geworden. Die Oxford-Ökonomin beschreibt darin, wie wir unser Leben und unsere Wirtschaft im 21. Jahrhundert umkrempeln müssen, damit wir sozial und ökologisch in einer guten und gerechten Welt für alle Menschen leben können. Sie spricht von den neun planetaren Grenzen, die es auch ökonomisch einzuhalten gilt. Von sozial-ökologischer Verantwortung, der wir gerecht werden müssen. Und – angelehnt an die Nachhaltigkeitsziele der UN – von sozialen Mindeststandards, die global erfüllt werden müssen.
Immer mehr Menschen interessieren sich für Kate Raworth‘s Modell einer sozial-ökologischen Transformation, in der Wirtschaft als Teil der Gesellschaft und nicht außerhalb dieser gesehen wird. Amsterdam erklärte vor gut einem Jahr als erste Stadt, dass sie bis 2050 ihre komplette Wirtschaft nach dem Prinzip der Donut-Ökonomie auf eine reine Kreislaufwirtschaft umstellen möchte.
Die Gemeinwohl-Ökonomie bezeichnet Kate als „Schwester im Herzen“. Als ein „pionierhaftes Beispiel“ und einen „kraftvollen Weg“ hin zu einer erfolgreichen Umsetzung dieser sozial-ökologischen Transformation.
Der berühmte Donut. Der grüne Kreis steht für einen sicheren und fairen Lebensbereich, der angestrebt wird. Der innere Kreis benennt die Punkte, die eingehalten werden müssen, um die sozialen Mindeststandards der UN zu erfüllen. Der äußerste Kreis zeigt die neun planetaren Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, damit unsere Lebensgrundlage auch langfristig gesichert ist.
Rund 760 Zuhörer*innen aus Deutschland, Spanien, Großbritannien, Italien, Österreich und Nordamerika wollten am 16. März (Link zur Aufzeichnung) bei der großen Online-Gemeinschaftsveranstaltung der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) Hamburg, Hamburg Global, dem Zukunftsrat, AFS Interkulturelle Begegnungen e.V. und dem Umwelthaus am Schüberg mehr über das Donut Modell und den Zusammenhang zur Gemeinwohl-Ökonomie erfahren. Die meisten von ihnen, so das Ergebnis unserer Umfragen zu Beginn des Vortrags, engagieren sich bereits für eine sozial-ökologische Transformation, wissen aber entweder nichts oder nur sehr wenig über die Donut-Ökonomie
Entwickelte Länder“, sagt Kate Raworth, „die gibt es nicht.
(*Zitate von Kate Raworth, eigene Übersetzung)
Wir alle, so die charismatische Britin, seien auf einer Reise zu etwas Neuem. Wir seien die erste Generation, die das ganze zerstörerische Bild dieser kapitalistischen Art zu leben und zu wirtschaften sieht und spürt. Es brauche neue Wege, ein neues Wirtschaftsmodell, um diese große Herausforderung zu meistern. Die Herausforderung, ein gutes Leben für alle zu schaffen, ohne dabei die planetaren Grenzen zu durchbrechen.
„Die Lösungsansätze von Politik und Ökonomie aus dem letzten Jahrhundert“, so Kate, „funktionieren nicht für die Probleme unserer Zeit. Es ist komplex. Aber diese Komplexität gehe auch nicht weg, wenn wir sie ignorieren“.
Die Universität Leeds hat 150 nationale Donuts erstellt. Kate zeigt in ihrer Präsentation drei davon. Das Niedriglohnland Malawi hält zwar alle planetaren Grenzen ein, verfehlt aber auch mehr als die Hälfte der sozialen Grundlagen (blauer Kreis in der Mitte). China, als aufstrebende Wirtschaftskraft, füllt seinen blauen Kreis fast ganz aus, verletzt dabei aber deutlich ökologische Grenzen. Zuletzt Deutschland, ein Hochlohnland, füllt den blauen Kreis voll aus, stößt aber weit über die planetaren Grenzen hinaus.
Entwickelte Länder gibt es nicht, sagt Kate. Sie wären oben links in dieser Grafik.
Kate schildert die drei Krisen unserer Zeit: die Klimakrise, die Finanzkrise und nun die Pandemie-Krise. Sie alle resultieren aus einem falschen Wirtschaftssystem, das auf unendlichem Wachstum beruht. Doch nichts in der Welt wächst unendlich. Mit Hilfe ihres Doughnut Economic Action Lab (DEAL) will Kate Organisationen, Kommunen und Städte unterstützen, zu einer ausgewogeneren Form des Wirtschaftens zu kommen. Kate appelliert an die Hamburger: „Fragt euch, wo ist das gesunde Ökosystem von eurer Stadt. Nehmt diese Werte als Grundlage für die ganze Stadt. Guckt euch den Hamburger Fußabdruck in der Welt an und wie Hamburg die ökologische und soziale Gesundheit der ganzen Welt respektieren kann.“ Denn alles, so Kate, sei miteinander verknüpft.
Kate klopft nicht gern an verschlossene Türen. Auch nicht an die der Mächtigen. Sie geht lieber da hin, wo sie auf Interesse und Begeisterung stößt. Mittlerweile klopfen die Mächtigen an ihre Tür. Doch trotz Vorträgen in Davos, bei der Weltbank oder der WTO brennt Kate besonders für Kooperationen auf lokaler Ebene. „Hier kann man schneller etwas bewegen.“
Kate will regenerative Orte schaffen, die auf Kreislaufwirtschaft beruhen. Hierfür nennt sie Beispiele von Städten aus der ganzen Welt, die sich am Wandel probieren. Wie Oslo, das Autos aus dem Zentrum verbannte. Oder Wien, wo 60 Prozent der Wohnungen in staatlicher Hand liegen und damit bezahlbar sind. Sie berichtet von Glasgow, wo der Industrie-Abfall der einen Firma zur Industrie-Nahrung der anderen wird. Oder Cleveland (Ohio), wo das Universitätskrankenhaus Beschäftigungsoptionen auch für benachteiligte Bewerber öffnete.
Von Preston bis Bogota: Immer mehr Menschen wollen im Donut leben.
Kate sieht in der Gemeinwohl-Ökonomie ein sehr klares Rahmenmodell, um die erforderliche Dynamik für eine sozial-ökologischen Transformation zu entwickeln: „Die Gemeinwohl-Ökonomie stellt einen kraftvollen Weg dafür dar: in einigen Städten, Bezirken und Regionen zeigt sich bereits die Kraft einer GWÖ-Infrastruktur, indem Kommunen und Stadtverwaltungen die Leistung gemeinwohl-bilanzierter Unternehmen sehen und würdigen. Hier ist viel Resonanz zu erkennen“.
Mick bedankt sich bei Kate für den gelungenen Vortrag und die inspirierende Zusammenarbeit.
Hier das komplette Video zum Vortrag von Kate Raworth und mit anschließender Frage/Antwort-Runde:
Mit der Gemeinwohl-Ökonomie in den Donut – Diskussionen im Break-Out-Raum
Wie genau das aussehen kann, diskutiert Mick Petersmann (GWÖ Hamburg, AG Politik) im Anschluss an Kates Vortrag im sogenannten Break-Out-Room mit den GWÖ-Aktivist*innen Annett Nack (Hamburger Unternehmerin, Soziologin und Buchautorin), Albrecht Binder (Apotheker und Gründer der Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW in Steinheim) und Walter König (GWÖ Hessen und Mitglied der Grünen). Parallel hierzu gibt es fremdsprachige Break-Out-Rooms der GWÖ und von anderen Mitveranstaltern.
Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sind die wichtigsten, verbindenden Werte von GWÖ und Donut-Ökonomie, so das Ergebnis der Wortwolke.
Ist der Kapitalismus alternativlos?
Mick beginnt die Diskussion mit der ganz großen Frage: Gibt es Alternativen zum Kapitalismus? Das nüchterne „Nein“ von Annett, die zu diesem Thema gerade ein Buch („It’s the future, stupid“, VSA-Verlag) veröffentlicht hat, stößt zunächst vor den Kopf. „Der Kapitalismus“, so erläutert sie, „ist rein Zahlen orientiert, kennt außer Zahlen nichts und darum kann er aus sich heraus keine Alternative begründen.“ Es sei aber wichtig zu erkennen, dass der Kapitalismus in zu viele Lebensbereiche vorgedrungen und viel zu dominant geworden ist und es einer Abkehr von einer zahlen- und wachstumsorientierten Wirtschaft braucht, um Alternativen zu entwickeln. Die Alternativen entstehen in der Gesellschaft. „Dafür gibt es kein Patentrezept, aber wir als Gemeinwohl-Ökonomie sind da schon sehr stark dabei.“, erklärt Annett.
Gute Laune und bunte Meinungen bei den Mitgliedern des GWÖ-Panels von links oben: Mick Petersmann, Albrecht Binder, Walter König und Annett Nack.
Welche politische Partei ist die Richtige für den Wandel?
Alternativen durchzusetzen ist nicht einfach. Walter, GWÖ-Aktivist und Mitglied der Grünen, sieht den größten Veränderungswillen in Sachen Nachhaltigkeit bei seiner Partei: „Im grünen Bundestagswahlprogramm, das gerade erstellt wird, gibt es eine klare Orientierung hin zur Kreislaufwirtschaft.“ Es sei wichtig, dass Kommunen auf nachhaltige Beschaffung setzen und Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanzierung haben oder sich in diese Richtung bewegen, bevorteilt werden.
Manche Zuhörer*innen im Chat zweifeln, ob die Grünen wirklich die richtige Partei für den Wandel sind. Schließlich haben sie nach 40 Jahren den Volksentscheid aus ihrem Programm genommen, so ein Kritiker.
Während es Albrecht egal ist, aus welcher Partei die Impulse für den Wandel kommen (in seiner Region waren es drei CDU-Bürgermeister, die das Thema vorangebracht haben), verteidigt Walter die Entscheidung seiner Partei. „Ich verzichte gern auf den Volksentscheid zu Gunsten der Bürger*innenräte.“ Annett hingegen kann die Kritik an den Grünen verstehen. Auch sie sieht unter ihnen einige Greenwasher und „Menschen, die nicht bereit seien internalisierte Kosten zu bezahlen“. Sie habe auch viele Kunden, die sie dieser Klientel zuordnen würde. „Denen muss ich erst mal erklären, was internalisierte Kosten eigentlich bedeuten“, sagt sie.
Die GWÖ habe sie nicht als parteipolitisch empfunden, sondern sehr kritisch und offen, Dinge auszuprobieren. „Und da ist Politik nicht immer das richtige Pflaster, da Politiker ja eher vorsichtig sind. Schließlich wollen sie wiedergewählt werden. Ich kann da nur bei Kate bleiben, die sagt, der Druck muss von der Straße kommen.“ Dann würde die Politik auch reagieren.
Als parteiunabhängige Bewegung ist es der GWÖ wichtig, dass die Politik über die Parteien hinweg möglichst schnell zu einem klaren Konsens kommt. Es braucht eine Transformation des Wirtschaftssystems und diese muss schnell und konsequent umgesetzt werden, um bestehende und zukünftige Krisen zu überwinden und Ungleichgewichte zu vermeiden.
Was hilft gegen Greenwashing?
Doch wie können wir konkret tätig werden und Greenwashing vermeiden, um zu einer richtigen Transformation zu kommen? Die Gemeinwohl-Bilanzierung ist hier ein gutes Instrument, so Albrecht (Apotheker und Gründer der Stiftung Gemeinwohl-Ökonomie NRW). „Die Wirtschaft hat längst verstanden, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Die Politik muss aber endlich die Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Denn so lange nachhaltiges Handeln tendenziell teurer ist und nicht sichtbar für den Kunden, gibt es Wettbewerbsnachteile für die Firmen, die sich besonders für Nachhaltigkeit einsetzen“, sagt er.
Aus Sicht der Unternehmen passe die Gemeinwohl-Bilanzierung perfekt in jetzige Unternehmens-Strukturen, weil sie als Controlling-Instrument aufgebaut ist. „Für den Controller ist es ziemlich egal, ob das Ziel seiner Arbeit die Verbesserung von Produktionszahlen oder von Nachhaltigkeits-Parametern ist“, sagt Albrecht. Der zeitliche und finanzielle Aufwand sei überschaubar. Der Mehraufwand zur Erstellung im Vergleich zur derzeitigen Bilanzierung liege bei etwa 10-15 Prozent. „Durch die Bilanzierung wird aber der Grad des Einsatzes für Nachhaltigkeit einer Firma sichtbar und Firmen werden vergleichbar. Das schafft Transparenz für Verbraucher*innen“, erklärt Albrecht.
Dem stimmt Annett zu: „Wenn Unternehmen klare Regeln bekommen, dann werden sie die auch umsetzen und einen Weg finden, Geld zu verdienen. Man muss nur einfach mal den Arsch in der Hose haben und das auch fordern.“
Aber warum führen viele gemeinwohl-bilanzierte Unternehmen keine zweite Bilanzierung durch, will Sven wissen?
Weil es sehr viel Arbeit ist, antwortet Albrecht, der gerade in seiner dritten Bilanzierung steckt. „Bislang gab es wenig Tools, die einen dabei EDV-mäßig unterstützen. Jetzt gibt es zwei neue Programme und die testen wir gerade.“ Außerdem zeige die Bilanzierung noch zu wenig Effekt im Außen.
Annett sieht noch einen weiteren Grund: Eine niedrige Punktezahl (null Punkte sind gesetzlicher Standard, bei 1000 Punkten ist die Firma absolutes Vorbild) kann auch negativ wirken. „In einigen Bereichen hatten wir null Punkte, einfach, weil diese Bereiche für unsere Branche nicht relevant waren und das versteht nicht jeder. Man muss viel erklären, sich damit auseinander setzen“, erzählt sie.
Wie viel Einfluss hat die öffentliche Hand?
Kommunen und öffentliche Träger haben in Sachen nachhaltige Beschaffung eine große Wirkkraft. Pro Jahr, so Walter, nehmen sie ein Finanzvolumen von 500 Milliarden Euro in die Hand. Außerdem haben sie eine Vorbild-Funktion. Walter: „Sie sollten das Vergabegesetz so umsetzen, dass nicht mehrheitlich nach dem günstigsten Preis eingekauft wird, wie es derzeit noch der Fall ist, sondern künftig eine Bereitschaft besteht, nachhaltige Unternehmen zu unterstützen, so wie es in einzelnen Kommunen bereits geschieht.“ Zur Zeit liege der Anteil nachhaltiger Beschaffung bei 10 oder 15 bis 20 Prozent. „Das muss erheblich erhöht werden. Wenn Kommunen nachhaltige Unternehmen bevorzugen, dann hat das Auswirkungen auf die gesamte Unternehmenslandschaft. Diese Unternehmen hätten dann einen echten Vorteil, zurzeit ist der eher ideell.“
Zum Schluss kommt Mick auf die anstehende Bundestagswahl zu sprechen. In einer Wortwolke werden die thematischen Wünsche der Zuhörer*innen an die GWÖ hierzu deutlich. Im Mittelpunkt steht der Klimaschutz. Mick versichert: „Das wollen und werden wir tun. Dabei geht es uns um die Energiewende mit mehr Solar und Windenergie, die Verkehrswende mit mehr öffentlicher Mobilität, die Ernährungswende mit einer Kreislaufwirtschaft aus dem regionalem Umfeld und den Bürger*innenräte für mehr Einfluss der Menschen.“
Matthias Breuel hat die Diskussion von Mick Petersmann mit Albrecht Binder, Walter König und Annett Nack in einem Graphic Recording festgehalten. Vielen Dank!
Wir freuen uns, diese und andere Diskussion bei der GWÖ Hamburg mit euch weiterzuführen.
Ein großes Dankeschön an Daniela Pemöller für diesen Bericht.