Wir beglückwünschen vier „frischgebackene“ Pionierunternehmen zu Ihrer Gemeinwohl-Bilanz
Auszeichnung für mehr gesellschaftliche Verantwortung
Am 17. Juni 2021 wurde den Vertreter*innen der Unternehmen Goldeimer, Markthalle, Naturkost Nord und framtid in Hamburg ihr Testat für die erstmals erstellte Gemeinwohl-Bilanz übergeben. Anhand von 20 Indikatoren legen die Unternehmen offen, wie nachhaltig sie in vier Gemeinwohl-Wertekategorien entlang der gesamten Wertschöpfungskette als Unternehmen Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt übernehmen.
Wie sinnvoll ist ein Produkt bzw. die Dienstleistung? Wie ökologisch wird produziert, vertrieben und entsorgt? Wie werden die Gewinne verteilt? Insgesamt 20 Fragen müssen sich engagierte Unternehmen stellen, bevor sie von der Gemeinwohl-Ökonomie (kurz GWÖ) ihr Testat erhalten. Die Antworten werden dann qualitativ in dem Gemeinwohl-Bericht und quantitativ in der Gemeinwohl-Bilanz eines Unternehmens festgehalten.
Über 2.300 Unternehmen aus weltweit 50 Staaten unterstützen die Bewegung.
Damit reagiert die GWÖ auf die Erkenntnis, dass das Gemeinwohl in der aktuellen Wirtschaft bislang kaum gemessen wurde. Konventionell bilden das Bruttoninlandsprodukt (Volkswirtschaft), der Finanzgewinn (Unternehmen) und die Finanzrendite (Investition) die zentralen wirtschaftlichen Erfolgsindikatoren. In der Gemeinwohl-Ökonomie soll neben der Finanzbilanz verpflichtend eine „Gemeinwohl-Bilanz“ erstellt und transparent offengelegt werden. Das Ergebnis soll perspektivisch in einer „Gemeinwohl-Ampel“ auf allen Produkten und Dienstleistungen sichtbar gemacht werden und so den Konsument*innen die Kaufentscheidung erleichtern. Und: Je besser das Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnis eines Unternehmens, desto mehr rechtliche Vorteile soll es erhalten, zum Beispiel niedrigere Steuern, Zölle und Zinsen oder Vorrang bei öffentlichen Ausschreibungen und Beschaffungen. Mithilfe dieser rechtlichen Anreize sollen ethische Produkte preisgünstiger werden als unethische. Die „Gesetze“ des Marktes würden endlich mit den Werten der Gesellschaft übereinstimmen.
Was heute noch wie eine Zukunftsvision klingt, steckt bereits mitten in der realen Umsetzung – auch auf politischer Ebene. Salzburg und Baden-Württemberg haben das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie im Regierungsprogramm. Neben Baden-Württemberg wurde die GWÖ auch in Hessen, Bremen und Hamburg in den jeweiligen Koalitionsvertrag aufgenommen. Das spanische Bundesland Valencia bereitet das erste Fördergesetz für bilanzierte Gemeinwohl-Betriebe vor und unterstützt schon jetzt kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), Vereine und Bildungsträger, wenn sie alternative Wirtschaftsansätze verbreiten. Den bisher größten politischen Erfolg feierte die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung auf EU-Ebene. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm eine Initiativstellungnahme zur Gemeinwohl-Ökonomie mit 86 Prozent der Stimmen an und empfiehlt deren Einbau in den Rechtsrahmen der EU.
Die Zahl der Unterstützer steigt. Heute beteiligen sich über 2.300 Unternehmen aus mehr als 50 Staaten an der Bewegung, rund 600 davon gehen voran und haben bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Engagierte Unternehmen wie etwa Greenpeace Deutschland, die Sparda-Bank München oder der Outdoorhersteller VAUDE haben sich ebenso bilanzieren lassen wie Gemeinden, Kommunalbetriebe, Schulen und Universitäten. Ein Lehrgang „Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie“ ist 2018 in Österreich gestartet, an der Universität Valencia erforscht der erste Lehrstuhl für Gemeinwohl-Ökonomie die wachsende Bewegung und stärkt ihre wissenschaftliche Basis.
„Unser jetziges Wirtschaftssystem ist bei begrenzten Ressourcen auf unbegrenztes Wachstum ausgerichtet …“
Enno Schröder von Goldeimer
„Goldeimer existiert aus einem einzigen Grund: Wir wollen, dass alle Menschen weltweit Zugang zu einer gesicherten Sanitärversorgung bekommen. Es ist uns aber wichtig, dass wir uns auf der Reise zu diesem Ziel auch sonst anständig verhalten. Die Gemeinwohl-Bilanz hilft uns dabei, uns regelmäßig selbst zu hinterfragen, wo wir uns verbessern können. Denn besser geht immer“, so Enno Schröder von Goldeimer.
Mike Kelller von der Markthalle Hamburg
„Die Hamburger Markthalle verändert sich seit 40 Jahren kontinuierlich. Unser Ziel, einen positiven Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen, heißt für uns kritisch und konstruktiv zu hinterfragen, wo wir besser werden können. Hierfür orientiert sich die Ökoprofit-zertifizierte Markthalle seit 2015 als eine der ersten Veranstaltungsorte in Deutschland an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, die von der UNO entwickelt worden sind. Mit dem jetzt erfolgreich abgeschlossenem Prozess der Gemeinwohl-Bilanzierung wissen wir konkreter, was zu tun ist. Ich halte es für unvermeidbar, dass sich die Veranstaltungswirtschaft dringend den gesellschaftlichen Herausforderungen insbesondere dem Klimawandel in allen Handlungsfeldern stellt. Ich freue mich, wenn wir mit unserer Initiative andere Veranstalter*innen und Betreiber*innen von Veranstaltungsorten motivieren, sich der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie anzuschließen“ so der Geschäftsführer der Markthalle in Hamburg Mike Keller.
Sebastian Hecklismüller von Naturkost Nord
„Unser jetziges Wirtschaftssystem ist bei begrenzten Ressourcen auf unbegrenztes Wachstum ausgerichtet. Das ist weder nachhaltig, noch kann ein solches Handeln langfristig funktionieren. Wir sehen als verantwortungsvolles Unternehmen Geld nicht als Mittel zum Selbstzweck, sondern als Währung für das, was wirklich zählt: ein gutes Leben für alle – und das einschließlich unserer Umwelt, die für uns als Naturkosthändler die Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns ist. Wir freuen uns, dass wir mit dieser Unternehmensphilosophie nicht allein sind, und sind sehr stolz auf unser heute erhaltenes Testat“, sagt Sebastian Hecklismüller von Naturkost Nord. Das Unternehmen mit Sitz in Seevetal vor den Toren Hamburg handelt mit Biolebensmitteln aus hauptsächlich regionaler Landwirtschaft. Einer der Tätigkeitsschwerpunkte ist der Vertrieb von Demeter-Erzeugnissen. Dabei bezieht Naturkost Nord die Waren vorrangig von Erzeugern und Herstellern, die sich für die Gewinnung von gesunden, qualitativ hochwertigen Lebensmitteln und deren schonende Weiterverarbeitung einsetzen.
Frauke Eickert von framtid
„Die Zahlen sind alarmierend. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich 88 Prozent der Menschen in Deutschland eine neue Wirtschaftsordnung. Und doch machen viele Unternehmen so weiter wie bisher. Wir möchten da nicht mitmachen und bewusst ein Zeichen setzen für mehr Menschlichkeit und Engagement in der Wirtschaft. Die Initiative Gemeinwohl-Ökonomie hilft uns dabei, und wir sehen das heute erhaltene Testat als Teil unserer langfristigen Entwicklung, mit der wir hoffentlich viele weitere Unternehmer*innen motivieren können, die bisherige Wirtschaftsordnung positiv zu verändern“, so Frauke Eickert, Beraterin bei framtid. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Hamburg beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit im Bereich der Finanzen und Versicherungen. framtid fördert Wachstum bewusst durch verantwortungsvolle, nachhaltige Konzepte. framtid, was auf Schwedisch Zukunft heißt, hat dabei den Anspruch, durch das eigene Handeln und Denken Treiber in der Versicherungs- und Finanzwirtschaft zu sein. Damit soll die Entwicklung von zum Beispiel Versicherungen oder Anlageprodukten beschleunigt werden, die neben ihrer eigentlichen Funktion auch einen positiven Effekt auf Umwelt und Gesellschaft haben.
Genau wie das Hamburger Sozialunternehmen Goldeimer oder das Kultur- und Veranstaltungszentrum Markthalle gehören Frauke Eickert und ihr Team vom Beratungsunternehmen framtid jetzt zum Netzwerk von weltweit über 600 Unternehmen und Organisationen, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben.