GWÖ-Summit im Ländle – ein nächster Meilenstein für Baden-Württemberg
Summit. Bisher größtes Vernetzungstreffen von Wirtschaft, Politik und Interessierten im Ländle bei der Holzmanufaktur Rottweil. Urkundenübergabe für Gemeinwohl-Bilanz auf 220 Metern Höhe.
Rottweil. Es war mit 120 Teilnehmenden das größte Zusammentreffen von Unterstützer*innen aus Wirtschaft und Politik sowie Interessierten an der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), das es jemals in Baden-Württemberg gegeben hat. Eingeladen hatte der 2017 gegründete GWÖ-Verein Baden-Württemberg. Und eine bessere Gastgeberin als die Holzmanufaktur Rottweil hätte es dafür kaum geben können. War doch die Holzmanufaktur Mitte der 1990er treibende Kraft im heutigen Rottweiler Gewerbepark Neckartal, die alten Bestandsgebäude der ehemaligen Pulverfabrik nicht abzureißen, sondern sie zu sanieren und darin als Unternehmen anzusiedeln. Bis heute haben etwa 200 Unternehmen nachgezogen. Gerade, weil eine Sanierung gegenüber Abriss und Neubau eine immense CO₂-Ausstoß-Ersparnis einbringt, passt dieser Fakt so gut zur GWÖ-Bewegung. Denn die ökologische Nachhaltigkeit ist eine der zentralen Anforderungen eines alternativen Wirtschaftssystems, für das sich die GWÖ weltweit einsetzt. Weitere Säulen sind Menschenwürde, solidarische Gerechtigkeit sowie Transparenz & Mitbestimmung.
Hinsichtlich dieser vier Säulen können sich Unternehmen in Bezug auf Lieferant*innen, Finanzierung, Mitarbeitende sowie Kund*innen bilanzieren und zertifizieren lassen. Um in der daraus resultierenden Gemeinwohl-Bilanz zu sehen, wo sie stehen und was sie noch verbessern können. Zu den Zielen gehöre es, „dass in absehbarer Zukunft positive Ergebnisse in der Bilanz direkte positive Auswirkungen auf die Marktchancen der jeweiligen Unternehmen haben“, sagte GWÖ-BaWü-Geschäftsführerin Alessandra Hensel, die gemeinsam mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volksbank Rottweil, Henry Rauner, die Veranstaltung moderierte.
In Baden-Württemberg haben sich mittlerweile weit mehr als 100 Unternehmen zertifizieren lassen, darunter der Outdoorausrüster Vaude aus Tettnang, aber auch vier Kommunalbetriebe der Stadt Stuttgart sowie jüngst als erste Kirchengemeinde überhaupt die katholische in Pforzheim. Und eben auch die Holzmanufaktur Rottweil. Deren Geschäftsführer (Vertrieb) Hermann Klos hatte sich von dem ersten GWÖ-Summit (Gipfel) im eigenen Haus gewünscht, „dass wir viele Menschen und Unternehmen erreichen, die sich dem sehr guten Modell der GWÖ weiter nähern.“ Dass sich eine Ansteckung im positiven Sinne einstelle.
Namhafte Speaker*innen
Dazu hat auch der Gründer der weltweiten GWÖ-Bewegung, Christian Felber aus Österreich, seinen Teil als einer von zahlreichen namhaften Speaker*innen beigetragen. Er betonte die große Hoffnung auf ein künftiges Gemeinwohl-Produkt, welches das gängige Bruttoinlandsprodukt (BiP) ersetzen soll. Er zitierte den US-Politiker Robert Kennedy, der einst sagte: „Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, nur nicht das, was das Leben lebenswert macht.“ Ein Gemeinwohl-Produkt sollte aber genau das tun, so Felber.
Ebenfalls als Speakerin und Teilnehmerin an den Podiumsdiskussionen an Bord war Anna Deparnay-Grunenberg. Sie war von 2019 bis 2024 Mitglied im Europaparlament und hatte 2016 als Stuttgarter Gemeinderätin und Fraktionsvorsitzende der Grünen maßgeblich dazu beigetragen, eine GWÖ-Förderung im städtischen Haushalt zu verankern. „Die Tausende kleinen Sachen, die einem in den Sinn kommen, wo man ansetzen könnte, sind in der Gemeinwohl-Matrix vereint“, sagte sie.
Zu den Gästen zählte auch André Reichel, Professor für International Management & Sustainability an der International School of Management (ISM) in Stuttgart. Er zeigte unter anderem eindrucksvoll auf, dass es in Sachen Erderwärmung fünf vor zwölf sei. „Doch die Gesellschaft braucht Natur.“ Es werde also Zeit für die angestrebte „Transformation durch Verantwortung“ – so lautete der Titel des GWÖ-Summits.
Norbert Knopf, Grüner Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Wiesloch, brachte indes Hoffnung auf künftige finanzielle Unterstützung mit. Zwar sei eine Landesförderung für die GWÖ im kommenden Haushalt noch nicht beschlossen, „aber es sieht gut aus“.
Erst die großen Stellschrauben, dann die Details
Zwei Tage lang drangen die Summit-Teilnehmenden immer mehr in die Tiefen der GWÖ-Materie ein. Tag eins gehörte dem Blick auf mögliche große Stellschrauben in Politik, Wirtschaft, Finanzen und Gesellschaft. Am Abend folgte die Urkundenübergabe an 24 von 35 in den vergangenen 15 Monaten bilanzierten Unternehmen auf knapp 220 Metern Höhe: im Konferenzraum des Rottweiler Aufzug-Testturms. Am zweiten Tag erfuhren und erörterten Unternehmensvertreter*innen und Privatpersonen in Diskussionen, Workshops und an Runden Tischen, was sie ganz konkret tun können und welche Tools ihnen dabei jetzt schon zur Verfügung stehen.
Pascal Schwarz (Head of Sustainability bei elobau aus Leutkirch mit weltweit 1200 Mitarbeitenden) konstatierte nach zwei Tagen: „Es war mir eine Freude, in so einer besonderen Location so viel spannenden Input bekommen zu haben und auch geben zu dürfen. Es war ein sehr angeregter und angenehmer Austausch.“
Auch in den Bildungseinrichtungen gewinnt die GWÖ zunehmend an Gewicht. Der Studierende Benedict Conradt nahm am Summit teil, weil er vorhat, seine Bachelorarbeit zum Thema Gemeinwohl-Bilanz zu schreiben. Er befand am Ende: „Ich konnte hier ein Gefühl für das Thema bekommen und war doch überrascht, wie viele Unternehmen die Bilanzierung bereits umgesetzt haben.“
Maßstäbe gesetzt
Holzmanufaktur-Geschäftsführer der technischen Leitung, Günther Seitz, bescheinigte dem Summit, den Horizont enorm erweitert zu haben. Der Aufwand als Gastgeber sei schon vergessen. Alessandra Hensel schloss: „Unser Ziel war es, dass wir unsere Community stärken, dass sich die Unternehmen kennenlernen, vernetzen können und Kooperationen eingehen. Und ich glaube, nach der Stimmung zu urteilen, haben wir das geschafft.“
Die Veranstaltung habe Maßstäbe gesetzt, sagte GWÖ-BaWü-Vorstand Peter Jakobeit, und sein Vorstandskollege Uli Fellmeth konstatierte: „Ein Meilenstein in der Geschichte der Gemeinwohl-Ökonomie Baden-Württemberg und vielleicht überhaupt in der Gemeinwohl-Ökonomie. Es lohnt sich, über sich selbst hinauszuwachsen. Wir wurden hundertfach dafür belohnt und ermutigt für die kommenden Jahre.“