Gemeinwohl-Ökonomie zieht Fachkräfte an
Netzwerkveranstaltung der GWÖ in Kirchheim bei der Feess GmbH zeigt auf, wie Nachhaltigkeit für KMU zum Erfolgsfaktor wird.
Kirchheim unter Teck. „Ein alternatives Wirtschaftsmodell, das auf den Werten Menschenwürde, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung basiert.“ So erklärte Alessandra Hensel-Rall die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) vor allem den GWÖ-Neulingen am Netzwerkabend im Kompetenzzentrum K3 der Feess GmbH in Kirchheim. Die Geschäftsführerin des GWÖ-Landesvereins Baden-Württemberg führte mehr als 130 Unternehmen im Ländle an, die ihren Beitrag zum Gemeinwohl bereits mit einer Gemeinwohl-Bilanz sichtbar gemacht haben. Als Vertreter*innen zweier solcher bilanzierter Unternehmen begrüßte sie Robert Böker (Geschäftsführer der im Bereich nachhaltiges Bauen und Sanieren beratend agierenden WoodenValley gGmbH in Stuttgart) sowie Sofie Schneeweiß (Geschäftsführerin der Ergotherapie-Praxis Schneeweiß in Bissingen).
Die beiden nahmen am zentralen Programmpunkt des Abends, einer sogenannten Fishbowl-Diskussion, vor den knapp 60 Zuhörenden teil. Herausgestellt werden sollten die Mehrwerte für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) durch die Gemeinwohl-Ökonomie, speziell den Nachhaltigkeitsaspekt. Die Runde komplettierte die Leiterin des Referats Industrie, Unternehmensförderung und Digitalisierung der IHK Region Stuttgart, Anja Erler.
Fachkräfte sind der stärkste Antrieb
„Die Motivation Nummer eins für Unternehmen, sich Gemeinwohl-bilanzieren zu lassen, sind Fachkräfte“, sagte Erler. Dass dies auch praktisch zum Erfolg führt, bestätigte Robert Böker: „Wir kriegen super viele Bewerbungen, ohne Inserate zu schalten. Und wir haben ein hervorragendes Team, das in der Industrie ein Mehrfaches verdienen könnte“, so der gGmbH-Geschäftsführer. Die IHK leistet Unterstützung bei der Gemeinwohl-Bilanzierung. Referatsleiterin Erler: „Wir informieren und begleiten wie ein Nachtwächter, der mit einer Laterne vorneweg geht. Wir wissen, wer die Experten sind. Und, wie man sich vernetzen kann.“ Das Netzwerken sei das A und O.
Einige Hürden indes gibt es im Prozess einer Bilanzierung durchaus zu überwinden. Für Praxisinhaberin Sofie Schneeweiß etwa war es die Herausforderung, „meine Mitarbeiterinnen zu begeistern und nicht zu überfordern“. Aber mit der Zeit hätten sie es richtig gut gefunden, in einem Betrieb zu arbeiten, in dem sich die Chefin mit solchen Themen beschäftige. „Das war bei uns ähnlich“, meinte Robert Böker: „Einige haben gesagt, wir machen doch schon so viel. Im Zuge der Bilanzierung haben wir dann aber alle miteinander gemerkt, dass doch noch viel Luft nach oben war. Und dann hatten wir tatsächlich Spaß daran, den Bericht zu schreiben.“ Mit dem Prozess einher, ergänzte Schneeweiß, seien auch personelle Umstrukturierungen gegangen. „Mittlerweile bin ich froh über die positiven Veränderungen und freue mich auf die Zukunft.“
Konkrete wirtschaftliche Erfolge?
Moderatorin Alessandra Hensel-Rall fragte nach konkreten wirtschaftlichen Erfolgen. Anja Erler berichtete aus Sicht der IHK: „Bei Start-ups sind hier schon einige tolle Sachen entwachsen. In Sachen Teambuilding zum Beispiel.“ Allerdings nur, wenn man’s nicht drüber stülpe, sondern die Mitarbeitenden mitnehme. Neben Fachkräftegewinnung, Sinnidentifikation und Verantwortungsübernahme bringt die Gemeinwohl-Bilanzierung auch konkrete monetäre Auswirkungen mit sich. Erler: „Zum einen gibt es Förderprogramme, zum anderen sind bei Ausschreibungen immer mehr strukturierte Nachhaltigkeitsberichte erforderlich geworden.“ Böker stimmte ein: „Hier kommt ein Lifehack: Bei Vergaben steht man mit einer Gemeinwohl-Bilanz schon relativ weit oben.“
Ein weiterer Mehrwert für Unternehmen durch die GWÖ erreicht die Kundschaft. Philip Renken war zum ersten Mal auf einer GWÖ-Veranstaltung. Über die Wirtschaftsförderung Kirchheim hatte der Geschäftsleiter der Intersport Räpple GmbH, die in der Region sieben Geschäfte betreibt, von der Veranstaltung erfahren. Seine Kunden fragten zunehmend nach, „was wir in Bezug auf Nachhaltigkeit unternehmen. Deshalb wollte ich hier erfahren, was wir bei uns sinnbringend unterbringen können.“ Seine Erkenntnis am Ende der Veranstaltung: „Ich habe Antworten bekommen. Dazu gehört auch, dass das, was wir bisher machen, gar nicht so schlecht ist. Und es lässt sich natürlich noch ausbauen.“
GWÖ als Schlüssel
Zum Abschluss fragte Alessandra Hensel-Rall nach der Bedeutung der GWÖ. Während Sofie Schneeweiß einen intensiven Organisations-Entwicklungsprozess fokussierte, griff Robert Böker weiter: „Die Welt gerät aus den Fugen, ich sehe die GWÖ als Werkzeug, um alles in den Fugen zu halten beziehungsweise wieder in die Fugen zu kriegen.“ Anja Erler resümierte: „Die GWÖ ist ein Schlüssel, der die Wirtschaft auch in Zukunft dem Menschen dienlich macht – und nicht umgekehrt.“
Authentischer Ort zum Netzwerken
Zu Beginn dieser Veranstaltung im Rahmen des von der Landeshauptstadt Stuttgart geförderten Projekts „Stuttgart fördert GWÖ“ hatte Hensel-Rall das Kompetenzzentrum K3 des Gastgebers Feess GmbH als sehr authentischen Ort bezeichnet, an dem Nachhaltigkeit gelebt werde. Erst im Mai wurde Walter Feeß mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Er wurde als „Pionier der Kreislaufwirtschaft im Bausektor“ gewürdigt.
Gemeinwohl-Berater Tim Weinert hatte mit einer speziellen Networking-Technik vor der Fishbowl-Diskussion dazu beigetragen, dass sich die Teilnehmer*innen einfach und schnell besser kennenlernten. Dazu sprachen und diskutierten diese in Kleingruppen jeweils sechs Minuten über zwei vorgegebene Fragestellungen.
Eine Führung über den Außenbereich bei Feess gehörte ebenfalls zur Veranstaltung. Feess-Geschäftsführer Alexander Feeß hatte als Gastgeber die Teilnehmenden begrüßt.
Info: Fishbowl-Diskussion
Die „Fishbowl“ ist eine spezielle Methode zur Gruppendiskussion, bei der im inneren Kreis ein leerer Stuhl für die jederzeit mögliche Beteiligung der Zuhörer*innen aus dem äußeren Kreis bereitgehalten wird.




