Fachgespräch: Die Erosion des Landlebens

v.l.n.r. Karen Hillmer Lea Schmeil, Annabel Konermann, Erwin Wobbe, Dr. Michael Hahn, Siegfried Lieske, Prof. Berthold Vogel, Dietmar Linne, Jürgen Sackbrook, Prof Roland Menges

Diskussionsrunde

25.9.25 Die Veranstalterin, die Göttinger ECOnGOOD-Gruppe, konnte in der Alten Kartenfabrik, im Walkenmühlenweg, einige Fachleute begrüßen, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben. Auch der Landrat, Marcel Riethig, stieß im Laufe des Abends dazu. Da ECOnGOOD mit der TU Clausthal zu den Themen Kreislaufwirtschaft und Bürgerbeteiligung kooperiert, siehe die gemeinsame Veranstaltung hier, beantragt die TU Claustahl mit ECOnGOOD und einem Fachbereich der Uni Götingen ein Pilotprojekt zu Kreislaufwirtschaft und Bürgerbeteiligung. In Vorbereitung zum Fachgespräch ist auch beim Landrat Interesse an einer Kooperation zu diesem Projekt entstanden. Der Landkreis könnte als Vorbildprojekt dienen, wie die Bevölkerung bei der Entwicklung zur Kreislaufwirtschaft beiteiligt wird.

Runde

Demokratie-Stärkung, Bürgerbeteiligung sind die Kernthemen der Gemeinwohl-Ökonomie. Deswegen wollte sich die Regionalgruppe Göttingen informieren über die Verhältnisse im Göttinger Land: Welche demokratischen Naherfahrungen von politischen Prozessen machen die Bürger*innen? Wie erfahren sie selbst ihre Wirksamkeit, in der Gestaltung des kleinstädtischen und ländlichen Lebens? Wie können sie konstruktiv werden gegenüber den Ewig-Kritisierer*innen und Wutbürger*innen. Was können zivilgesellschaftliche Bewegungen wie die Gemeinwohl-Ökonomie beitragen, um der Erosion ländlicher Lebensverhältnisse entgegen zu wirken?

Der GWÖ-Experte für Kommunen, Dr. Michael Hahn, moderierte das Gespräch mit den Fachleuten , die ihre jeweiligen Projekte und Erfahrungen miteinander austauschen: So unterstützte die Bürgerstiftung, der Sigfried Lieske vorsitzt, ein Vorhaben für Wohnmobilität. Prof. Berthold Vogel, leitet das renommierte Göttinger Soziologische Forschungsinstitut (SOFI), das an der Entwicklung des Konzepts der Dorfmoderation beteiligt war. Prof Roland Menges lehrt Verhaltensökonomie an der TU Clausthal und weiß deshalb einzuschätzen, welchen Einfluss die Ökonomie auf die Veränderungen im ländlichen Raum hat. Er ist Co-Autor des Standardlehrbuchs für „Die Ökonomie des Gemeinwohls“, das in seiner Darstellung der Lehrmeinungen zur Bewirtschaftung Öffentlicher Güter auch dem Modell der Gemeinwohl-Ökonomie einen gebührenden Platz einräumt. Schließlich ist Lea Schmeil mit der Ländlichen Erwachsenenbildung betraut und kennt so manche Eigenheiten des Landlebens. Dietmar Linne fördert als Landkreis Politiker der Grünen, viele agile Projekte zu Nachhaltigkeit und sozialer Integration. Jürgen Sackbrook von der CDU Göttingen berichtete von seinen Erfahrungen, politischen Prozessen und kurzen Entscheidungswegen auf dem Land.Lea Schmeil

Kurze Statements zu Beginn:

„Erosion“ markiert Veränderungen von Ortschaften von vornherein als negativ. Aber ist damit eine reale Entwicklung in den Siedlungsstrukturen bezeichnet?

Vereine spielen in kleinen Ortschaften oft eine wichtige Rolle für den demokratischen Austausch. Denn sie organisieren Zusammenkünfte, auf denen je nach Anlass auch Gruppengespräche neben dem eigentlichen Vereinszweck stattfinden.

Das was „auf dem Lande“ an Meinungsbildung im Kleinen wahrnehmbar ist, stellt sich überraschenderweise in wissenschaftlichen Studien als charakteristische Tendenz für den gesamten politischen Raum heraus, so dass ländliche Ortschaften als Laboratorium und Indikator anstelle größerer Bevölkerungseinheiten genommen werden können. Dazu empfehlenswert: Berthold Vogels Texte „Sozialen Orte„, auf der Seite der Bertelsmann-Stiftung und Mit oder gegen den (Öko-)Strom?- Zukunftsszenarien ländlicher Räume in Zeiten der sozial-ökologischen Transformation

Berthold Vogel

Erste Ergebnisse eines Niedersachsen-Panels unterstreichen diese Beobachtung: Die Unterschiede der Ansichten der Menschen in Dörfern und der in den Klein- und Großstädten scheinen nicht besonders signifikant zu sein. Das überrascht und wäre einer gesonderten Untersuchung wert: Hat die ubiquitäre Verbreitung der Medien die unterstellte Ahnungslosigkeit und Uninformiertheit der Landbevölkerung wettgemacht?

Ein Anzeichen für Erosion kleiner Ortschaften ist die Abwanderung von Teilen der ansässigen Bevölkerung. Migration und demographische Veränderungen sind die am häufigsten wahrgenommenen Ursachen für den Wandel in den Ortschaften: Junge Leute ziehen weg, Geflüchtete ziehen zu.

Roland Menges

Mittlerweise müssen sich ganz offensichtlich die Klein-und Kleinststädte den größten Herausforderungen in Bezug auf abbröckelnder Urbanität stellen. Die Initiative der „Kleinstadt-Akademie“ (https://kleinstadtakademie.de/) hat die Misere der wuchernden Leerstände und wegfallenden Infrastruktur nicht nur erkannt. Sie versucht sich dagegen zu stemmen mit der „Förderung einer lebendigen, zukunftsfähigen und innovativen Stadtentwicklung“.

Die Regionalgruppe wies auf die Irrungen der Wirtschaftspolitik der letzten 45 Jahre hin: Die Arbeitsplätze gehen kontinuierlich zurück, denn die neoliberale Wirtschaftsordnung ließ und lässt die mittelständigen und größeren Unternehmen in der Provinz Konkurs gehen. Die Produktion in Niedriglohnländern mit geringen Umweltstandards und der Handelswettkampf unter Nationen lässt nicht die Realwirtschaft wachsen, sondern den Handel und vor allem die Finanzwirtschaft. ECOnGOOD sieht die Lösung in einer Wirtschaftsordnung, die neue Arbeitsplätze im Strukturwandel, im Naturschutz und in der nachhaltigen Landwirtschaft schafft – gerade im ländlichen Raum.

Jürgen Sackbrook

Michael Hahn

Vaude