Willkommen bei der Regionalgruppe Göttingen
Am 1. Januar 2019 wurden wir als Regionalgruppe Göttingen von der Gemeinwohl-Ökonomie aufgenommen und seitdem laden wir die Bürger*innen zu Diskussionsrunden, Vorträgen und Arbeitsgruppen ein (siehe Veranstaltungen). Wir nehmen Kontakt zur Wirtschaft und Politik in Südniedersachsen auf und freuen uns über ein großes Interesse!
- bringen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Berufen zusammen, um dieses verfahrene Wirtschaftssystem nach gemeinwohlfördernden Werten zu modernisieren.
- kooperieren mit Menschen aus der Wissenschaft, Politiker*innen unterschiedlicher Parteien, Unternehmer*innen, Verantwortlichen in den Verwaltungen, Umweltorganisationen und Gewerkschaften, Schüler*innen und Student*innen.
- begleiten Unternehmen bei einer Nachhaltigkeits-Berichterstattung nach 20 Gemeinwohl-Themen: Menschenwürde, Gerechtigkeit/Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz/Mitbestimmung jeweils bezogen auf Lieferant*innen, Geldgeber*innen, Mitarbeitende, Kunden und Kundinnen und das gesellschaftliche Umfeld.
- wollen, dass die regionale Wirtschaftsförderung und Kommunalpolitik jene engagierten Unternehmen besserstellen, die gemeinwohlorientiert arbeiten. Das kann durch vielfältige, attraktive Anreizsysteme geschehen: z. B. bei den Gewerbesteuern, öffentlichen Vergaben und Einkäufen sowie bei der Kreditvergabe und den Beratungsleistungen für periodische Gemeinwohl-Bilanzierungen.
Die bürgerschaftliche Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie passt hervorragend in die engagierte Göttinger Zivilgesellschaft, die meist aus der Wissenschaft kommt und denen die Themen ökologische und soziale Gerechtigkeit „auf den Nägeln“ brennen.
So kannst Du Dich beteiligen
Die GWÖ heißt Dich herzlich willkommen! Als …
- Multiplikator*in in der Wirtschaft
- Multiplikator*in in Gesellschaft und Politik
- Multiplikator*in in der Bildungsarbeit
- Expert*in in der Öffentlichkeitsarbeit
- Pionier*in in der Landschaft der Unternehmen
- Gemeinwohl-Lobbyist*in
- Wissenschaftler*in
- Unterstützer*in
- Kollege/Kollegin in unseren Arbeitsgruppen
- (Förder-)Mitglied
- Newsletter-Leser
Unsere Treffs
Wir treffen uns jeden zweiten Donnerstag im Monat um 19:00 Uhr, dabei wechseln sich Plenum und Themenabend regelmäßig ab. Im Plenum besprechen wir Organisatorisches, planen Projekte und Aktionen oder stellen den aktuellen Stand in den Arbeitsgruppen vor. Zum Themenabend werden Gemeinwohl-Themen betrachtet, die uns bewegen, und die jeder aus der Regionalgruppe einbringen und vorbereiten kann. Im Rahmen unserer Netzwerkarbeit haben wir hier manchmal auch Gäste aus anderen regionalen Projekten zu Gast, die z.B. ihre Arbeit vorstellen.
Zur Zeit treffen wir uns an wechselnden Orten in Göttingen.
Du hast von der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) gehört und möchtest mehr darüber erfahren? Vierteljährlich gibt es einen Treff speziell für Neu-Interessierte, wozu wir herzlich einladen. Den aktuellen Termin und Treffpunkt für unseren offenen Stammtisch findest du unter Termine. Falls du vor hast zu kommen, schreibe gern vorab eine kurze Mail an goettingen@econgood.org.
Hier hast du die Möglichkeit uns Aktive und unsere Arbeit zur Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) speziell im Göttinger Raum kennenzulernen. Du erfährst mehr darüber, an welchen Themen wir gerade arbeiten und was wir uns für die nächste Zeit vorgenommen haben. Du sagst uns, wie und wo du bei uns mitarbeiten möchten.
Du möchtest nicht bis zum nächsten Neuen-Treff warten? Dann maile uns einfach an, um ein Kennenlerngespräch zu vereinbaren. Wir freuen uns über alle, die die Gemeinwohl-Ökonomie mittragen und uns dabei unterstützen, sie in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft weiter voranzubringen. Anmeldung bei goettingen@econgood.org
Unsere Arbeitskreise (AKs)
Wir haben unsere Arbeitschwerpunkte in Arbeitskreise (AKs) organisiert. Unsere Arbeitskreise biden sich aus den Kompetenzen und Interessen der Aktiven. Auf unseren Aktiven-Treffs stellen die jeweiligen Sprecher*innen die aktuelle Arbeit vor. Die AKs sind offene Gruppen, die sich jederzeit über neue Mitmacher*innen freuen.
Mit Fragen der Entwicklung und kommunalen Wirtschaftsförderung im Göttinger Land beschäftigen wir uns im Arbeitskreis zur Regionalen Wirtschaftspolitik: Wie können die Wertschöpfungsketten vor Ort gestärkt, lokale Investitionsmöglichkeiten und Vielfalt eröffnet, regionale Kaufkräfte gebunden, neue Wirtschaftsideen entfaltet, lokale, soziale Innovationen, Ressourcengerechtigkeit und Klimaschutz gefördert werden? Wir werben dafür, dass sich Gemeinden und kommunale Institutionen der sozialen und nachhaltigen Wirtschaftsweise verpflichten und für Gemeinwohl- und Nachhaltigkeits-bilanzierte Unternehmen unterstützende Rahmenbedingungen schaffen (z.B. Vorteile in der Beschaffung oder bei Steuern, Fördertöpfe für Bilanzierungen).
Kontakt:
Claudia Hasert (AK-Sprecherin), claudia.hasert@econgood.org
Erwin Wobbe, erwin.wobbe@econgood.org
Karen Hillmer, karen.hillmer@econgood.org
Wir pflegen den Kontakt zu den regionalen Unternehmen und Wirtschaftsplattformen. Dabei machen wir das Wirtschaftssystem der GWÖ bekannt und erläutern das praktische Instrument der Gemeinwohl-Bilanzierung für Unternehmen und Institutionen: Ein anerkannter Nachhaltigkeitsbericht, der alle 17 UN-Nachhaltigkeitsziele widerspiegelt, dem Lieferkettengesetz und der Nachhaltigkeitsberichtspflicht nachkommt.
Kontakt:
Annabel Konermann, 01575- 612 12 36, annabel.konermann@econgood.org
Claudia Hasert, claudia.hasert@econgood.org
Dr. Susanne Schmall, 01512- 228 7885, susanne.schmall@econgood.org
Der AK Bildung kümmert sich um alles, was auf Bildungsebene passiert: Wir pflegen den Kontakt zu relevanten Fachschaften der Uni, planen und organisieren gemeinsame Veranstaltungen und bringen die GWÖ in Form von Workshops und Vorträgen in Schulen und andere Bildungseinrichtungen.
Kontakt:
Anke Landsteiner (AK-Sprecherin), 01590 / 5873827, anke.landsteiner@econgood.org
Ingo Bever (Trainer), ingo.bever@econgood.org
Im AK Öffentlichkeit läuft die interne und externe Kommunikation rund um das Thema GWÖ unserer Regionalgruppen zusammen. Unser vorrangiges Ziel ist es die GWÖ speziell im Göttinger Raum bekannter zu machen. Unsere Aufgabe ist u.a. die Pflege von Webseite & Newsletter, die Bewerbung von Veranstaltungen, sowie die Pflege und Fütterung unseres Instagram- und Facebook-Accounts. Wir freuen uns über kompetente Unterstützung!
Kontakt:
Annabel Konermann (AK-Sprecherin), annabel.konermann@econgood.org
Ingo Bever (interne Kommunikation und Webseite), ingo.bever@econgood.org
Anke Landsteiner (Grafikdesign und Social Media), 01590 / 5873827, anke.landsteiner@econgood.org
Für einen AK, der sich mit Fragen des Gesundheitssystems befasst, suchen wir derzeit noch weitere aktive Mitarbeiter*innen. Bitte melden Sie sich bei Interesse zur Mitarbeit bei uns per Mail: goettingen@econgood.org
Kontakt zur Regionalgruppe Göttingen
Koordinatorin: Annabel Konermann und Mitbegründer der Regionalgruppse Erwin Wobbe
E-Mail: goettingen@econgood.org
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Hier sammeln wir Hintergrundtexte rund um gesamtwirtschaftliche Themen.
Göttingen, 5.1.2025
Gerechter Welthandel
Die Gemeinwohl-Ökonomie plädiert für einen gerechteren Welthandel. Einen Welthandel, der das Gemeinwohl fördert und den Planeten schont.
Ziele des Welthandels
Der Welthandel befördert wichtige Ressourcen, ermöglicht Wohlstand und verbindet die Länder. Nicht nur Waren, auch Ideen und Lebensentwürfe werden ausgetauscht. Die Globalisierung, die dabei entsteht, kann Friedenstiftend sein. Der Austausch kann zu mehr Verständnis und friedlicher Koexistenz führen. Wohlstand durch Handel sollte bedeuten: die Umsetzung der Menschenrechte und eine nachhaltige Entwicklung insbesondere für Länder mit geringem Industrialisierungs- und Technologisierungsgrad, die Entwicklungsziele und Nachhaltigkeitsziele der UNO, ein gutes Leben für alle, das Gemeinwohl.
Für die Unternehmen stellt sich allerdings immer die Frage, wo am billigsten produziert werden kann. Bei globaler Arbeitsteilung und freiem Kapitalverkehr wird der Kostendruck globalisiert. Die Unternehmen gehen dann für die Produktion in die Länder mit dem geringsten Widerstand bezüglich Löhne, Arbeitsstandards, soziale Sicherheit, Menschenrechte, Umweltgesetze, Konsumentenschutz, etc.
Sinn einer Welthandelsorganisation
Wie sieht eine internationale Handelsordnung aus, die eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Menschen- und Arbeitsrechte, Umweltschutz, kulturelle Vielfalt und friedliche internationale Zusammenarbeit gewährleistet?
Eine funktionierende Welthandelsorganisation sollte sich verbindlich den UNO-Abkommen zu Umwelt, Gesundheit und Arbeitssicherheit für den Handel und den 17 Nachhaltigkeitszielen verpflichten. Mit diesem Ziel wurde die Konferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) in den 60er Jahren gegründet. Seitdem die Idee des Freihandels erst die Industrie- und später auch die Entwicklungsländer gewonnen hatte, hat die UNCTAD leider an politischer Bedeutung verloren.
Weder der sogenannte Freihandel noch Protektionismus erfüllen das Ziel eines gerechten Welthandels, bei dem sich alle Beteiligten gleich entwickeln und bei dem die Abkommen der UNO erfüllt sind.
Modell Freihandel
Die Theorie des Freihandels postuliert eine maximale, internationale Arbeitsteilung, das heißt, dass die verschiedenen Länder sich nur noch auf wenige bestimmte Produkte spezialisieren und alles andere importieren: Land A produziert nur noch Weizen, Land B nur noch PCs; Land C nur noch Energie. Das ist genauso wenig erstrebenswert wie die Idee der (totalen?) nationalen Autarkie der Protektionisten (keine Importe mehr zulassen).
Freihandel ist ein Modell, das nur unter gleichstarken Nationen fair sein kann. Beim Freihandel zwischen reichen und armen Ländern profitieren hauptsächlich die reichen Länder und dort in erster Linie die transnationalen Unternehmen. Die so wachsende Übervorteilung von armen Ländern kann man auch als modernen Kolonialismus bezeichnen. Arme Länder ohne entwickelte Technologie und Kapitalstock können in der Industrie nicht mit den niedrigen Produktpreisen der Industrieländer mithalten, verlieren deshalb ihre Industriebetriebe und degradieren so zu Rohstofflieferanten.
Befürworter des Freihandels und der 100 %-igen internationalen Arbeitsteilung behaupten, alle Beteiligten gewinnen an Wohlstand. Doch wie können sie erklären, dass sich arme Länder dabei kontinuierlich weiter in Auslandswährung verschulden und dass die Hauptgewinner des wachsenden Handels nur die transnationale Großkonzerne sind?
Freihandel ist nur sinnvoll, wenn dieser unter gleichen und fairen Bedingungen stattfindet, siehe unten.
Folgen des Zollabbaus
Wenn Länder unterschiedlicher Voraussetzung bezüglich Löhne, Inflation und Standards miteinander in den Wettbewerb gehen und Import- und Export- Zölle untereinander abbauen, verlieren sie ihre Souveränität und es entstehen neue Probleme:
In den Industrieländern zeigt sich der Wettbewerbsdruck in der schwachen Lohnentwicklung und der schwächelnden Binnennachfrage und im Verschwinden ganzer Branchen. In Deutschland sind trotz wachsender Handelsbilanzüberschüsse die Löhne lange nicht entsprechend der Produktivität gewachsen (so wird die Goldene Regel für Lohnentwicklung missachtet).
In den Entwicklungsländern gehen kleine Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe Konkurs und die Arbeitslosigkeit wächst durch die Flut von billigen Importprodukten aus den Industrieländern. Auch in diesen Ländern profitieren nur einige wenige Unternehmen vom (Frei-) Handel. Die Folge in Entwicklungsländern ist ansteigende Migration in die Hauptstädte (zu 90%) und Richtung Europa (10%). Das wiederum führt zu einem Erstarken rechter Parteien in den Industrieländern. Zudem wenden sich die Transformations- und Entwicklungsländer bewusst vom Westen ab, finden sich in der Gemeinschaft der BRICS-Staaten zusammen und fraternisieren auch in politischen Konflikten mit den Kontrahenten des Westens: Russland und dem Iran.
Protektionismus – auch keine Lösung
Protektionismus andererseits ist jedoch keine Alternative. Er will Abschottung, die Grenzen schließen und hat nur den Schutz seines eigenen Landes als Ziel und nicht die Entwicklung und Prosperität der anderen Länder. Das führt zu Gegenmaßnahmen und kann in Handelskriegen enden.
Welthandel mit fairen Spielregeln
Wie so oft liegt die Lösung in der Mitte – im Welthandel liegt sie zwischen diesen beiden extremen ideologisch vorgetragenen Positionen. Ein Welthandel mit fairen Spielregeln, der die Ausbeutung von Menschen und Natur verhindert und Menschen in armen Ländern einen höheren Lebensstandard ermöglicht, sollte das Ziel sein. Handel ist nur dann eine Win-Win Situation, wenn die Länder mit ihrer gesamten Bevölkerung und nicht nur einige Unternehmen oder Privatpersonen einen Vorteil davon haben.
Wenn einzelne Länder nationale Gesetze zur Gesundheit, Umwelt und Arbeitssicherheit erlassen, dann sollten sie nicht von Konzernen u.a. privaten Unternehmen vor Investitionsschiedsgerichten verklagt werden können, wie das zur Zeit der Fall ist. Investitionsschutzabkommen sollten vor Enteignung schützen, aber nicht den Ländern ihre nationale Handlungsfähigkeit vereiteln. In bilateralen Handelsabkommen werden die Schutzabkommen immer wieder von der stärkeren Seite durchgesetzt.
Die UNO hat folgende Abkommen und Ziele für Arbeits-, Umwelt, Gesundheitsschutz und Nachhaltigkeit entwickelt:
Menschenrechte
– ILO-Arbeitsnormen
– Globaler Klimaschutz
– Schutz der kulturellen und biologischen Vielfalt
– Schutz der indigenen Bevölkerung
– Abkommen gegen Bestechung und Korruption
UN-Nachhaltigkeitsziele seit 2015
Die Gemeinwohl-Ökonomie plädiert für ein globalen Handelssystems, dass mit diesen Zielen und den Werten des Völkerrechts abgestimmt ist. Das Handelssystem soll diese Ziele nicht systematisch gefährden, es sollte zum Mittel werden, diese Ziele zu fördern und effektiver zu erreichen.
Christian Felber, Brigitta Herrmann und Jürgen Knirsch schlagen vor, die Welthandelsorganisation – basierend auf den WTO-Regeln- in das UN-System zu übertragen. So wird sie den Werten und Leitprinzipien der UN und der Europäischen Union gerecht. Siehe Trade Brief, https://eeb.org/wp-content/uploads/2024/11/Trade-brief-201124-FIN-1.pdf
Handelsrechte vor Menschenrechten im Völkerrecht
Diese eigentlichen Ziele und Werte in der internationalen Politik werden allerdings im Freihandelssprech zu „non-trade concerns“ herabgewürdigt, bzw. „nichttarifäre Handelshemmnisse“ genannt. Die UN-Abkommen kann man als „weiche“ Abkommen bezeichnen, weil sie im Völkerrecht kaum sanktionierbar sind (Christian Felber, Ethischer Welthandel, 2017). Die Handelsrechte stellen allerdings „hartes“ Völkerrecht dar, weil sie mittels Schiedsrechten einklagbar und durchsetzbar sind.
WTO (World Trade Organisation)
Die WTO (World Trade Organisation) und ihre Vorgängerin GATT haben das Ziel, den Welthandel zu vergrößern und die Zölle abzuschaffen. Auch lag ihr sicherlich die Idee zugrunde, internationale Handelsvereinbarungen aufzustellen, die allen eine Chance geben: Nationen können ihre Grenzen für Handel- und Kapitalströme nur öffnen, wenn sichergestellt ist, dass ihre Unternehmen in der internationalen Arbeitsteilung eine faire Chance haben und nicht Gefahr laufen, ständig gegen den Rest der Welt den Kürzeren zu ziehen.
Die Länder, die der WTO beitreten, sind an die jeweiligen Zölle gebunden, dürfen diese nicht erhöhen, sondern sollen diese senken. Die WTO wurde bewusst unabhängig von der UN gegründet. So können Klagen vor der WTO die Wirtschaftsfreiheiten (Marktzugang bis zum Patentrecht) schützen, sich aber leider auch gegen Umweltschutz, Konsument*innenschutz, aber auch gegen eine eigenständige Technologie- und Industriepolitik richten. Da Klagen sehr kostenaufwendig sind, sind es jedoch selten Entwicklungsländer, die Brüche der WTO-Regeln einklagen.
Die WTO hat einen Umweltausschuss, Abkommen für Entwicklungsländer und es gibt Interessen, mehr der UN-Abkommen aufzunehmen, interessanterweise nicht unbedingt von den Entwicklungsländern. Seit 2019 wehrt sich Donald Trump gegen die Neubesetzung der Richter des WTO-Schiedsgerichts. So ist die WTO seitdem zahnlos.
Bilaterale Handelsabkommen auf dem Vormarsch
Die WTO verlor an Bedeutung und der Glaube an multi- und bilateralen Freihandelsabkommen gewannen. Doch große transatlantischen Handelsabkommen der EU, wie TTIP, CETA und Mercusor stehen zunehmend in der Kritik. Denn diese gefährden oft kleine Produzenten und Umweltinteressen. So ist bisher nur CETA realisiert worden, TTIP und Mercusor haben sich noch nicht durchgesetzt. Kritiker*innen dieser Abkommen werden schnell als Protektionist*innen bezeichnet.
Da die großen Freihandelsabkommen auf immer mehr Widerstände auch gerade in den Entwicklungsländern stoßen, haben sich die Industrieländer auf bilaterale Handelsabkommen spezialisiert. Doch die bilateralen Handelsabkommen bewirken einen viel größeren Souveränitätsverlust als die Mitgliedschaft in der WTO und die Anerkennung ihrer Regeln, da es bei ihnen nicht mehr vorrangig darum geht, die Zölle abzubauen, sondern um die Reduzierung von nationalen Regulierungsstandards (wie Regelungen zu Arbeits- Umwelt-, Gesundheitsschutz), die als nichttarifären Beschränkungen bezeichnet werden.
Bilaterale Handelsabkommen zum Nachteil der Entwicklungsländer
Bei globaler Arbeitsteilung und freiem Kapitalverkehr wird der Kostendruck globalisiert. So suchen die Industrieländer nach kostengünstigen Produktionsbedingungen, Ressourcen und Absatzmärkten. Die Unternehmen gehen dann für die Produktion in die Länder mit den geringsten Löhnen, Arbeitsstandards, Vorgaben zu sozialer Sicherheit, Menschenrechten und Umweltgesetzen. Dafür bieten Entwicklungsländer „ideale Bedingungen“ für Handelsabkommen.
Bei den Verträgen der EU oder den USA mit afrikanischen Entwicklungsländern werden nationale Regelungen, die einer Marktöffnung im Weg stehen, Stück für Stück aus dem Weg geräumt. Bei den Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPA) werden die ärmeren Staaten mit Bedingungen konfrontiert, die regelmäßig zu ihren Lasten gehen. Man vertröstet sie jedoch mit den wundersamen Wirkungen des Freihandels, die früher oder später in jedem Land zu den „blühenden Landschaften“ führen sollen (Heiner Flassbeck, Relevante Ökonomik, 2024). Speziell zu den EPA hat Brot für die Welt klare Empfehlungen, damit deutsche Entwicklungshilfe nicht von deutscher Handelspolitik torpediert wird. Für Deutschland und für Europa empfehlen sie:
- Ablehnung des Handelsabkommen der EU mit den Ländern Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, dem Mercosur-Abkommen
- Nichtunterzeichnung der regionalen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA / EPA) mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten) AKP-Staaten
- Einsatz für eine WTO-Ausnahmeregelung, dass alle AKP-Staaten unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Entwicklung weiterhin zollfrei nach Europa exportieren können, ohne im Gegenzug den Zoll auf Waren aus Europa aufgeben müssen
- Generelle Abwendung von weiteren bilateralen Handelsabkommen mit ärmeren Ländern
Die Vielzahl von Handelsabkommen, die die EU mit meist ärmeren Ländern abgeschlossen hat, enthalten sogenannten Investitionsschutzabkommen, die Unternehmen der EU vor willkürlichen Veränderungen im Ausland schützen sollen. Investitionsschutzabkommen sind völkerrechtliche Verträge zwischen zwei oder mehreren Staaten, die Investoren aus einem der Vertragsstaaten (EU-Staatenverbund) bestimmten Schutz im anderen Staat (Gaststaat) zusichern. Dabei geht es um die Gewährleistung von Eigentumsschutz und Schutz vor Enteignung, den freien Transfer von Kapital und Erträgen oder den Schutz gegen Diskriminierungen. Auch sollen sie Investoren davor schützen, durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen Verluste zu erleiden. So zielen sie auch auf die Wirtschaftsverfassung von Nationalstaaten, denn die Profitabilität der Investitionen ist vor allem durch Änderungen des Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzes betroffen.
Investitionsschutzabkommen wirken protektionistisch
Alles was den Gewinn schmälert, und jedes Gesetz zum Schutz der Gesundheit, Umwelt, Verbraucher*innen, Arbeitnehmer*innen, zukünftige Generationen oder der Demokratie, wird in Handelsabkommen Schritt für Schritt abgebaut bzw. mit Investitionsschutzabkommen unmöglich gemacht. So wird der Investitions- und Eigentumsschutz kontinuierlich auf Kosten des Umwelt-, Gesund- und Demokratieschutzes ausgebaut – das ist der wirkliche Protektionismus: Der Schutz der Investitionen und somit der Schutz der reichen Länder und mächtigen Konzerne.
Sowohl bilaterale wie multilaterale Handelsabkommen stärken die Macht großer, transnationaler Unternehmen. Und diese Macht wirkt sich besonders im Völkerrecht aus. Das Handelsrecht wird tendenziell über die Menschenrechte gestellt.
Versuche der Regulierung, Steuerung oder Beschränkung von Handel werden zunehmend vor Schiedsgerichte gezogen. National beschlossene Regeln werden ausgehebelt durch:
- Das Verbot der Bevorzugung lokaler Unternehmen im öffentlichen Einkauf
- Die Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistung
- Das Verbot, Anforderungen an Investoren zu stellen
- Investitionsschutzabkommen, die Konzernen Rechte verleihen und Gaststaaten Pflichten auferlegen
- Den strengeren Schutz von geistigem Eigentum als von Menschrechten
- Direkte Klagerechte für Konzerne
Der Freiheitsbegriff als rhetorischer Trick
Beim Freihandel geht es um die Wirtschaftsfreiheit für juristische Personen (transnationale Konzerne) und um den Schutz von Privateigentum auf Kosten aller anderen Freiheiten, Eigentumsformen und der kulturellen Vielfalt. Für Befürworter des Freihandels geht er einher mit Standortwettbewerb und Austeritätspolitik.
Freihandel, freie Marktwirtschaft, freier Kapitalverkehr macht nicht alle frei. Wir brauchen eine demokratische Entscheidung, welcher der Freiheiten wir Vorrang vor den anderen geben wollen. Ist die Wirtschaftsfreiheit des Sklavenhalters höher einzustufen als die Menschenwürde der Sklaven, fragt der Direktor des Weltethos-Instituts. Wieso haben so wenige Ökonomen ein Problem damit, dass Freihandel ohne Rücksicht auf Menschenrechte, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz u. nachhaltige Entwicklung durchgesetzt wird?
Komparative Vorteile von David Ricardo – als Argument für Freihandel
Die neoklassischen Ökonomen und Freihandelsbefürworter berufen sich bis heute auf die sogenannte Theorie der komparativen Vorteile von Ricardo. Demnach ist Freihandel auch unter ungleichen Partnern für beide von Vorteil. Arme Länder würden davon profitieren, auch wenn durch den Handel ihre Handelsbilanzdefizite wachsen. Die Begründung mit den komparativen Vorteilen geht so: Das reiche Land spezialisiert sich immer in der Branche, in der sie am allerbesten ist, die zweitbeste Branche überlässt sie dem schwächeren Land. Wenn Deutschland gut ist in Chemie und Maschinenbau, aber noch besser in Chemie ist, dann gibt es die Produktion des Maschinenbaus auf und überlässt es dem Handelspartnerland zum Beispiel Indien. Dass das unrealistisch ist, versteht fast jeder. Ist auch nie dazu gekommen und bedürfte auch einer Absprache, die wiederum laut Wettbewerbsrecht verboten ist. Globale Planwirtschaft war ja sicher nicht Ricardos Absicht. Es gibt tatsächlich keinen Mechanismus dafür, dass ein Staat beschließt, bestimmte Produkte nicht mehr zu produzieren und sie schwächeren Ländern zu überlassen. Die Theorie der komparativen Vorteile ist nichts anderes als das wissenschaftliche Feigenblatt für den Wirtschaftskolonialismus.
Realität internationaler Beziehungen
Heiner Flassbeck (Grundlagen relevanter Ökonomik, 2024) kritisiert den grundsätzlichen Ansatz des Welthandels: Die globalisierte Wirtschaft ist kein großer Binnenmarkt, nicht einmal die EU und nicht einmal die EWU. Dafür sind die Nationalstaaten zu unterschiedlich wohlhabend. Da der in der Vergangenheit aufgebaute Kapitalstock in zwei Volkswirtschaften nie gleich ist, sind die Lohnniveaus unterschiedlich. Und das ist entscheidend dafür, ob freier internationaler Handel mit anderen Ländern gewinnbringend ist.
Deutschlands moderner Merkantilismus
Das Prinzip Wettbewerb zwischen Unternehmen ist nicht auf Staaten übertragbar. Ein Wettkampf zwischen Nationen würde nicht allen einen Handelsbilanz-Überschuss ermöglichen (mehr Exporte als Importe). Solange die einen Länder Überschüsse erwirtschaften, machen andere Länder Handelsbilanzdefizite. (Global können die Handelsbilanzüberschüsse nur so groß sein wie die Handelsbilanzdefizite. Für Transformations- u. Entwicklungsländer bedeuten Defizite eine Verschuldung in Fremdwährung – hauptsächlich in Dollar. Für diese Verschuldung müssen sie Zinsen zahlen.) Sich gegenseitig herunter zu konkurrieren, um Überschüsse zu erzielen, würde die Gesamtsituation ständig verschlechtern.
Deutschland jedoch feiert die Leistungsbilanzüberschüsse, und im Wahlkampf wollen alle großen Parteien die Wettbewerbsfähigkeit fördern. (Obwohl das Stabilitätsgesetz der Bundesrepublik von 1967 ein „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ vorsieht.) Das erinnert an den alten Merkantilismus, bei dem der Handelsbilanzüberschuss in der Vermehrung der Goldreserven bestand und dazu diente, teure Kriege zu führen, und Lohnsenkungen zur Wettbewerbsfähigkeit durchgesetzt wurden.
Weil Bilanzüberschüsse eines Landes immer zu Defiziten bei anderen Ländern führen, sind im EU-Vertrag ausgeglichene Handelsbilanzen angestrebt und nur Handelsbilanzüberschüsse von 6% des BIPs zugelassen, siehe hier. Deutschland wurde allerdings nie von der EU-Kommission für die Regelverletzung sanktioniert. Auch die USA, obwohl sie große Defizite ggü. Deutschland hat, hat bis 2024 auf Vergeltungsmaßnahmen verzichtet.
Arme Länder müssen sich in ihrer Entwicklungsphase mit Zöllen schützen
In armen Ländern mit niedriger Produktivität und hohen Kosten schafft der Freihandel keinen Wohlstand, sondern sie können nicht mithalten und fallen zurück. Die Produktivität in den Industrieländern ist so hoch, weil sie über lange Zeit Kapital in ihre Technologie investiert haben und so die Lohnstückkosten senken konnten. Eine hoch entwickelte Industrie bedarf geringer Arbeitskraft. Und so können trotz hoher Löhne die Lohnstückkosten gering sein. (Lohnstückkosten entsprechen dem Anteil an Lohn im Verhältnis zu anderen Inputfaktoren an den Produktionskosten.) In dieser Zeit der Entwicklung haben sich alle Industrieländer durch hohe Zölle geschützt – wie sich China in den ersten Jahrzehnten seiner Entwicklung beim Aufbau ihrer Wirtschaft geschützt hat. Was Entwicklungsländer brauchen, ist in erster Linie Zeit, um sich zu einer Technologie vorzuarbeiten und erst in zweiter Linie Kapital. Freihandel verhindert eine nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern, Heiner Flassbeck (Grundlagen relevanter Ökonomik, 2024).
Absolute Vorteile sind entscheidend
Unternehmen sind Preisnehmer bzgl. Lohn und Kapital-Zinsen und sie versuchen bei den gegebenen Preisen so viel Gewinn zu erzielen, dass es ausreicht, die Kredite zu bedienen. Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, versuchen die Unternehmen die Arbeitsproduktivität des Betriebes zu steigern, also das Verhältnis von Arbeitseinsatz zum Produkt. Das gilt für Länder mit niedriger wie für solche mit höherer Produktivität. Die Löhne in einem Land sollten immer der Gesamtproduktivität des Landes entsprechen (Goldene Regel). Steigen sie stärker als die Produktivität, müssen die Unternehmen die Preise erhöhen, dann kommt es zu Inflation. Und die gestiegenen Löhne sind nichts mehr wert.
Auch bei geringerem Kapitalstock ist für Entwicklungsländer ein reales Aufholen möglich, wenn sie nicht direkt mit ihrer Industrie in den Wettbewerb mit der kapitalstarken Technologie der Industrieländer geht. Sonst passiert das, was nach der ersten industriellen Entwicklung der ehemaligen Kolonialändern nach ihrer Unabhängigkeit passiert ist: Funktionierende industrielle und technologische Strukturen wurden der internationalen Arbeitsteilung geopfert. Die Länder wurden zu reinen Rohstofflieferanten für die Industrieländer.
Die Transformations- & Entwicklungsländer brauchen die technologischen Strukturen, weil diese die einzige Quelle des materiellen Wohlstands darstellen. Mit diesen Strukturen können sie sich Produktivitätsfortschritt erarbeiten. Technologischer Fortschritt ist zum Schutz des Planeten erforderlich. Er dient auch der Ressourcen-Ersparnis.
„Jedes Land muss die Möglichkeit haben, Schlüsselindustrien aufzubauen und zu bewahren. Alle erfolgreichen asiatischen Entwicklungsländer haben gezeigt, dass nur mit Hilfe des Staates und der Regulierung des internationalen Austauschs wirkliches Aufholen möglich ist. Mit diesem Rezept und dem Schutz vor Wettbewerb sind auch Deutschland, England und die USA zu erfolgreichen Industrieländern geworden. In einem historischen, also langwierigen Prozess ist im Westen die Technologie und der Kapitalstock gewachsen. Freihandel, Öffnung ohne den Staat und ohne Schutzregeln für aufholende Länder macht nur die Mächtigen noch mächtiger und die Reichen noch reicher.“ Heiner Flassbeck.
Freihandel nur möglich im Binnenmarkt mit abgestimmter Lohnpolitik
Alle Abkommen, die den Freihandel vorantreiben sollen, führen zu Souveränitätsverlusten bei den Ländern. Und bis heute gibt es nicht den absoluten Freihandel, von dem David Ricardo geschwärmt hat. Es kann ihn nur geben, wenn man für jedes Land ähnliche Bedingungen schafft, wie zum Beispiel in der EU. Und auch in einem Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung gibt es nur faire Bedingungen für den Handel, wenn den Mitgliedstaaten die Souveränität bei der Lohnfindung genommen wird bzw. wenn es Regeln zur Entwicklung der Löhne und Lohnstückkosten gäbe. Sonst erhöhen die Länder über politischen Druck auf nationale Lohnentwicklung die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Länder. Und schaffen sich so absolute Vorteile im internationalen Handel. Niedrige oder nicht mit der Produktivität steigende Löhne führen wiederum zu schwacher Binnennachfrage, wie es in Deutschland nach der Arbeitsmarktderegulierung Anfang der 2000er Jahre. Und so wachsen die Handelsbilanzüberschüsse auf Kosten von Handelsbilanzdefiziten unserer Handelspartner. Eine Zwickmühle, die letztlich allen schadet.
Annabel Konermann
Gemeinwohl-Ökonomie Göttingen
Göttingen, 4.9.2024
Wir von der Gemeinwohl-Ökonomie begrüßen das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)). „Schluss mit Profiten auf Kosten von Menschenrechten: Das EU-Lieferkettengesetz bietet die Chance, Menschen und Umwelt in den weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten von Unternehmen besser zu schützen“, sagt Johanna Kusch, Koordinatorin der Initiative Lieferkettengesetz, der mit der Gemeinwohl-Ökonomie rund 140 andere Vereinen und Organisationen angehören. Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, sieht derzeit bei 152 Millionen Kindern in Kinderarbeit und 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit schwerste Menschenrechtsverletzungen durch die globale Wirtschaft. Unternehmen in Deutschland verdienen an dem, was in anderen Teilen des Globus erarbeitet wird. Es ist gut, dass sie zukünftig für die Achtung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten verantwortlich sind.
Aus der Sicht der GWÖ müssen globale Wirtschaftsfreiheiten und -Rechte sowie entsprechende Pflichten und Verantwortung zwei Seiten einer Medaille sein.
Doch es ist bei weitem nicht alles ins EU-Lieferkettengesetz gekommen, was die GWÖ angestrebt hat. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich auf eine stark abgeschwächte Fassung der Europäischen Lieferkettenrichtlinie geeinigt, die eine qualifizierte Mehrheit fand. Deutschland enthielt sich aufgrund der Blockadehaltung der FDP innerhalb der Bundesregierung; jedoch konnte Italien von der geänderten Fassung überzeugt werden, sodass die erforderliche Mehrheit auch ohne Deutschland zustande kam.
Misserfolg: Die beschlossene Fassung hebt die Grenzen für die Anwendbarkeit auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz an, wobei längere Übergangsfristen vorgesehen sind. (nur 1.450 Unternehmen in Deutschland, erst ab 2029)
Misserfolg: Risikosektoren wurden aus dem Gesetzesentwurf gestrichen, jedoch bleibt die Möglichkeit bestehen, Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen, falls sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.
Erfolg: Das EU-Lieferkettengesetz verbessert die Position von Betroffenen vor Gericht: Anders als das schon bestehende deutsche Sorgfaltspflichtengesetz sieht es im jetzigen Entwurf eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflicht verletzen.
Misserfolg: Auf der anderen Seite enthält der Kompromiss auch einige große Schwächen, zum Beispiel der Ausschluss des Finanzsektors sei nicht nachvollziehbar, sagt Johanna Kusch. „Banken und Investoren müssen bei der Vergabe von Krediten und Investitionen verpflichtet werden, Menschenrechte, Umwelt und Klima zu achten.“ Und auch bei den Klimapflichten greife die Einigung viel zu kurz und biete Unternehmen zu viel Raum für Greenwashing, so Kusch.
Erfolg: Das EU-Lieferkettengesetz bezieht die Klimafragen mit ein. Klimaübergangspläne sollen in die allgemeine Sorgfaltspflicht eingebettet werden. Die Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihre Klimaschutzpläne nicht nur zu entwickeln, sondern auch effektiv umzusetzen.
Misserfolg: Das Management wird nicht direkt in die Verantwortung zur Überwachung der Sorgfaltspflichten genommen. Übrig blieb nur, dass das Management zur „Beachtung“ von Risiken bezüglich der Menschenrechte sowie des Umwelt- und Klimaschutzes verpflichtet ist. Das ist deutlich weniger als die einklagbare Pflicht zur Überwachung der entsprechenden Sorgfaltspflichten, und zeigt, wie wenig die EU-Gesetzgebungsorgane bereit sind inter-nationale Konzerne ernsthaft in die Pflicht zu nehmen.
Warum nicht gleich Gemeinwohl-Bilanz?
Grundsätzlich könnte die Regulierung vereinfacht werden, indem Nachhaltigkeitsberichtspflicht und Lieferkettengesetz, also die beiden “CS”-Richtlinien CSRD und CSDDD zusammengelegt werden, wie es die Gemeinwohl-Bilanz bereits vorsieht.
Ein Stückwerk an zu vielen, zu umfangreichen und nicht gut aufeinander abgestimmten neuen Regulierungen wie neben den beiden „CS“-Richtlinien CSRD und CSDDD auch die EU-Taxonomie, die Finanzmarkt-Offenlegungsverordnung, die Anti-Greenwashing-Initiative und andere bindet wertvolle Arbeitskräfte und bewirkt Ablehnung. „Es ginge auch einfacher, indem die unternehmerische Nachhaltigkeitsperformance einmalig und quantitativ vergleichbar für alle Stakeholder gemessen wird. Dann könnten alle Stakeholder – Finanzierer, öffentliche Einkäufer, Wirtschaftsförderer und Konsument*innen – sich daran orientieren. Die Gemeinwohl-Bilanz leistet bereits diesen „einen Guss“, der nicht nur Transparenz schaffen würde, sondern auch die Möglichkeit zur Verknüpfung mit positiven und negativen Anreizen für z. B. besonders klimafreundliche oder -schädliche Unternehmen. Auch die Integration der direkten Verantwortung des Managements für den Schutz der Menschenrechte wäre problemlos möglich“, wie Christian Felber abschließend feststellt.
Das Deutsche Lieferkettengesetzt – ausgesetzt
Das Deutsche Lieferkettengesetzt wurde ausgesetzt bis das Europäische gilt. Zwar kommt keine Berichtspflicht auf die Unternehmen zu, allerdings müssen die Groß-Unternehmen (ab 1000 Mitarbeiter und 450 Millionen Jahresumsatz) Arbeitskräfte dafür einstellen, die Sorgfalt in der Lieferkette zu überwachen. Dafür haben die Unternehmen jetzt noch knapp 2 Jahre Zeit.
Alles auf einem Blick? Hier 3 nützliche Weblinks
EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)), in Kürze:
BMUV: Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) :
Ein Überblick – die EU-Lieferkettenrichtlinie
Die weitere Umsetzung der EU-Lieferketten-RL (CSDDD) ist wie folgt vorgesehen:
Mai/Juni 2024: | EU-Lieferketten-RL (CSDDD) tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. |
Mai/Juni 2026:
(2 Jahre nach Inkrafttreten) |
EU-Staaten müssen die CSDDD in nationales Recht umsetzen, in Deutschland durch Anpassung des LkSG. |
2027
(3 Jahre nach Inkrafttreten) |
EU-Lieferketten-RL (CSDDD) anzuwenden für Unternehmen mit
Mehr als 5.000 Mitarbeitern Mehr als 1,5 Milliarden EUR Umsatz |
2028
(4 Jahre nach Inkrafttreten) |
EU-Lieferketten-RL (CS3D) anzuwenden für Unternehmen mit
Mehr als 3.000 Mitarbeitern Mehr als 900 Millionen EUR Umsatz |
2029
(5 Jahre nach Inkrafttreten) |
EU-Lieferketten-RL (CSDDD) anzuwenden für Unternehmen mit
Mehr als 1.000 Mitarbeitern Mehr als 450 Millionen EUR Umsatz |
Das EU-Lieferkettengesetz geht über die Anforderungen des LkSG hinaus. LkSG vs. CSDDD – eine Gegenüberstellungeine von pwc:
Vielen Dank für die Mitarbeit für diese Positionen an Walter Kern, der die GWÖ in der EFRAG vertritt und Gesellschafter beim Fair Finance Institut in Heidelberg ist.
Annabel Konermann
annabel.konermann@econgood.org
Gemeinwohl Ökonomie Göttingen
Die Funktionsweise des Geldsystems scheint die größte intellektuelle Hürde für die Umsetzung einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftspolitik unserer Zeit zu sein. Nur ein richtiges Verständnis vom Geldsystem ermöglicht es uns, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Antworten auf die gesellschaftlichen Problemstellungen zu finden. Nur so kann man Lösungsansätze entwickeln für eine Wirtschaftspolitik, die an funktionalen Zielen gemessen wird – wie z.B. der Transformation in eine ökologisch nachhaltige Produktionsweise, einen funktionierenden Wohlfahrtsstaat, der Vermeidung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und nicht an den Zielen beliebiger Finanzkennzahlen, wie z.B. der Höhe des Staatsdefizits.
Letzteres ist tatsächlich unwichtig für das Wohl der Menschen und der Wirtschaft.
Erst wenn man versteht, was Geld ist, weiß man, was private Schulden und Staatsschulden für uns bedeuten.
Geld ist kein Tauschwert, sondern eine Recheneinheit für Schuldbeziehungen zwischen einer Schuldnerin mit einer Verbindlichkeit und einer Gläubigerin mit einer Forderung. Bildlich gesprochen ist Geld eine Medaille mit zwei Seiten: Schulden und Vermögen. Beide Posten bedingen einander, eine Seite kann nicht ohne ihre Rückseite entstehen. Diese Gegenüberstellung liest sich wie eine buchhalterische Bilanz, die eine Aktivseite und eine Passivseite umfasst. Geld ist ein Beziehungsgeflecht mit einer permanenten Dynamik aus neuen Vermögensansprüchen und Schuldtilgungen. Im bilanztheoretischen Geldverständnis wird bei jeder Kreditvergabe Geld geschöpft und bei jeder Schuldtilgung wird Geld vernichtet. Das klingt abstrakt. Ist es auch. Geld hat keinen stofflichen Wert und seit 52 Jahren keinen Gegenwert in Gold. Unser Geld ist virtuell auch schon vor dem digitalen Geld. Es ist ein elektronischer Datenbankeintrag in einer Excel-Tabelle.
Bei Staatsausgaben wird Geld geschöpft, bei Steuerzahlungen wird Geld vernichtet. Steuerzahlungen verringern das Staatsdefizit, aber von einem verringerten Defizit kann man sich nichts kaufen, oder?
Über die 10 % der Bevölkerung, die hoffnungslos verschuldet sind, spricht niemand und über die 20 % Prozent der Bevölkerung, die nicht in der Lage sind von ihrem Einkommen, Geld für Weihnachten oder eine neue Waschmaschine zu sparen, redet kaum jemand. Private Schulden sind für uns eine große Belastung, Staatsschulden nicht. Im Gegenteil, wenn wir beginnen, die Staatsschulden abzubauen, bauen wir unser privates Vermögen ab. Dann werden alle ärmer – die Armen wie die Reichen.
Leider haben auch die Progressiven oft eine neoklassische Vorstellung vom Geldsystem und glauben an eine feste Geldmenge, die es gilt zu verteilen. Sie denken, dass es ohne Steuereinnahmen keine „solide Gegen-Finanzierung“ von Staatsausgaben geben kann.
Aber das ist falsch gedacht! Denn Steuern sind zum Steuern da, aber nicht zur Finanzierung der Staatsausgaben. Richtig ist: Die Staatsausgaben sind dafür da, dass wir unsere Steuern zahlen können.
Diese Erkenntnisse, die bereits 120 Jahre alt sind und erst in den letzten 40 Jahren von der dominanten neoklassischen Lehre verdrängt wurden, helfen uns, den Haushaltskäfig zu öffnen. Den Schlüssel hat die Europäische Union. Sie kann mit einer Reform der Schulden- und Defizitregeln, des Artikels 126 des EU-Vertrages, unsere Währungsunion endlich monetär souverän machen.
Wenn es auch schwierig ist zu verstehen, was Geld ist, so leicht ist es zu verstehen, wie Geldschöpfung für Zentralbanken und Geschäftsbanken funktioniert. Das wurde in diversen hervorragenden Dokumentarfilmen bereits verdeutlich: per Mausklick bei Kreditvergabe. Staaten bzw. Staatengemeinschaften schöpfen Geld auf die gleiche technische Weise.
Sehr wichtig: Solange, die (nicht fossilen) Rohstoffe und Arbeitskräfte nicht restlos eingesetzt sind, solange wir noch 7 % Arbeitslosigkeit haben, besteht auch keine Überschuss-Nachfrage, die nicht gesättigt werden kann. Darum besteht auch keine Inflations-Gefahr.
Leider ist der Euro im neoklassischen Design organisiert, setzt auf Wettbewerb unter den Mitgliedsstaaten und sieht Fiskalpolitik (Staatsausgaben und Steuern) nicht als Gemeinschaftsaufgabe. An einer Reform kommen wir nicht vorbei, sonst sparen wir uns kaputt. Wer will das?
Annabel Konermann
Gute Artikel dazu:
https://zinsfehler.com/2019/01/23/warum-konnen-wir-unser-geldsystem-nicht-richtig-verstehen/
https://makroskop.eu/49-2020/die-triade-tausch-geld-und-staat/
Wiki Chartismus
Dr. Dirk Ehnts: Die Finanzmärkte zerstören den Euro und die Politik schaut zu:
https://www.youtube.com/watch?v=EanyXnlPtNI
Europapolitik unter Aspekten der Gemeinwohl-Ökonomie
12 Seiten zu: Europäische Union, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Geld- u. Finanzsystem, Umwelt u. Energie, Außenwirtschaftspolitik
Europa hat mit dem Green Deal 2019 beschlossen, die Wirtschaft der Europäischen Union (EU) für eine nachhaltige Zukunft umzugestalten (mehr). Das Ziel dabei ist, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt zu werden. Dieses Ziel kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein möglicher Weg dahin. Die zehn Ziele des Green Deals (mehr) (Klimaschutz, saubere Energieversorgung, Kreislaufwirtschaft, energieschonendes Bauen, Null-Verschmutzung, Biodiversität, faire und umweltfreundliche Lebensmittelversorgung, nachhaltige Mobilität, Finanzierung des Übergangs, sozial gerechter Übergang) können mit der Gemeinwohl-Ökonomie erreicht werden. Das Geld- und Finanzsystem ist dabei das Zünglein an der Waage. Die Geld- und Finanzwirtschaft muss der Wirtschaft dienen und darf sie nicht beherrschen, wie es der aktuelle Fall ist. Der EU-Aktionsplan zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum (mehr) bezieht sich auf die Transformation im Finanzsystem: Mobilisieren von Kapital für den Klimaschutz und eine nachhaltige Wirtschaft, Management von klima- und umweltrelevanten Risiken, Transparenz, Langfristigkeit und Wirksamkeit am Kapitalmarkt (mehr).
Die Umgestaltung der EU-Wirtschaft erfordert mehr Gemeinwohlorientierung statt Gewinnmaximierung, mehr Kooperation statt Konkurrenz, mehr Demokratie statt Lobbymacht, kurz: eine Gemeinwohl-Ökonomie. Zwischenschritte, die bereits gegangen wurden wie mit dem Nationalen Wohlfahrtsindex, die Reform der Maastricht-Regeln, der Vorbereitung des Digitalen Euros, dem Recht auf Reparatur, die Einsetzung von Bürgerräten, sind wegweisend.
Dieser Weg sollte entschlossen weiterverfolgt werden, damit die EU mit einem widerstandsfähigen Wirtschaftssystem sozialen Frieden und nachhaltigen Wohlstand für alle gewährleisten kann.
Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ist eine sozial-ökologische Bewegung, die in über 35 Ländern aktiv ist und ein gleichnamiges Wirtschaftsmodell in Zusammenarbeit mit Unternehmen und Kommunen in die Praxis umsetzt. Dieses Modell basiert auf einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Marktwirtschaft, bei der Werte, die in unserer Verfassung verankert sind, auch in der Wirtschaft gelebt werden. Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und Mitbestimmung sollten eine höhere Priorität eingeräumt werden als der Kapitalakkumulation oder der Maximierung des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Die GWÖ folgt dem Leitgedanken, dass die Wirtschaft den Menschen dienen und dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollte, wie es auch in Artikel 3 Absatz 1, 2 und 3 des EU-Vertrags festgelegt ist.
Geld und Kapital dienen dabei als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck. Das Ziel der GWÖ besteht darin, den rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass Marktakteure einen Anreiz haben, das Gemeinwohl zu maximieren. Dies bedeutet, dass sie keine Schäden an Natur und Mensch verursachen oder Kosten auf die Gemeinschaft abwälzen dürfen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind neben wirtschaftspolitischen Anreizinstrumenten auch rechtliche Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards erforderlich, die gemeinwohlschädigendes Wirtschaften erschweren oder unmöglich machen.
Nur so können die Preise von gemeinwohlfördernden Produkten sinken und die Löhne von gemeinwohlfördernder Arbeit steigen. Die GWÖ betrachtet Klimaschäden, Armut, Arbeitslosigkeit, Migration und Kriege um Bodenschätze insbesondere als Folgen der neoliberalen Wirtschafts- und Geldpolitik: Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur wie Energieversorgung, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Wohnen, Pflege, die Deregulierung des Finanzmarktes, Freihandel, Verschlankung der staatlichen Institutionen, Sparpolitik, Abbau der Steuerprogression und des Sozialstaates, etc. sind Maßnahmen, die bis heute national, europäisch und international vorherrschen.
Um den Wohlstand einer Volkswirtschaft besser messen zu können, bedarf es einer Ergänzung zum BIP, dass lediglich die monetäre Wirtschaftsleistung misst und nicht den gesellschaftlichen Wohlstand im Sinne des Gemeinwohls. Der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) ist ein guter Beginn, allerdings sollte er wirksamer werden. Die GWÖ schlägt zur Messung das sog. Gemeinwohl-Produkt (mehr) vor, deren Indikatoren demokratisch entwickelt werden sollten. Wohlstands-Wachstum i.S. des Gemeinwohls ist für die GWÖ erstrebenswert.
Um den Erfolg eines Unternehmens/einer Organisation oder einer Investition am Gemeinwohl zu bemessen, hat die GWÖ in einem partizipativen Prozess Indikatoren entwickelt, mit denen 20 Themenfelder in der Gemeinwohl-Bilanz (Def.) bewertet werden. Diese Indikatoren werden bereits seit 2010 von Unternehmen, Kommunen und anderen Organisationen verwendet und kontinuierlich weiterentwickelt (mehr). Der Gemeinwohl-Bericht (Info) bildet die Aktivitäten der Organisation in Bezug auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN und die Lieferketten ab. Dabei bemisst die GWÖ den Beitrag zum Gemeinwohl anhand der Werte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung.
- Europäische Union (EU)
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) unterstützt die Europäische Union (EU) und beruft sich auf eine positive Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) aus dem Jahr 2015 (Info).
Der EWSA stimmte mit 86% seiner Mitglieder dafür, dass das GWÖ-Modell ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell für den sozialen Zusammenhalt ist und sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene in den Rechtsrahmen integriert werden sollte. Das Ziel der GWÖ ist es, die Maßnahmen aus dieser Stellungnahme auf nationaler Ebene umzusetzen.
Grundsätzlich strebt die GWÖ in der EU eine Stärkung der demokratischen Mitbestimmung an und möchte den Einfluss monopolartiger Wirtschaftsakteure verringern.
Staatliche und überstaatliche Institutionen, die das Wirtschaftssystem beeinflussen, sollten sich demokratisch organisieren und dem EU-Parlament sowie nationalen Parlamenten gegenüber Rechenschaft ablegen.
Die Grundkonstruktion der EU und das Design des Euro ist im Zeitgeist des neoliberalen Ideals der 1980er Jahre entstanden und bedarf einer Erneuerung. Die Sparpolitik und der Glaube an Privatisierung haben die öffentliche Infrastruktur, den Sozialstaat und die Bildung geschwächt und die Vermögensungleichheit vergrößert. Die Infrastruktur-Schulden sind stark angestiegen. Der Steuer- und Lohnwettbewerb zwischen verschiedenen reichen Volkswirtschaften hat zu einer Standortverlagerung von Unternehmen geführt, bei der vor allem große Unternehmen profitiert haben und viele Mitgliedsländer ihre Arbeitskräfte an reichere Länder verloren haben.
Die EU setzt bis heute hauptsächlich auf Geldpolitik, um die Wirtschaft und die Preisentwicklung zu beeinflussen, und es fehlt ihr eine Instanz, die durch umsichtige Fiskalpolitik (Ausgaben, Steuern) Wirtschaftskrisen entgegenwirken bzw. vorbeugen kann.
Die GWÖ befürwortet eine stärkere Regulierung des Finanzmarktes und eine demokratisch legitimierte fiskalische Autorität der Europäischen Union. Sie empfiehlt eine demokratische Kontrolle für die Europäische Zentralbank (EZB), mehr Transparenz und Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip im Europäischen Rat sowie mehr direkte Demokratie.
- Sozialpolitik
Um die Machtkonzentration zu verringern, die Demokratie zu schützen und jedem Menschen gleiche Rechte, Freiheiten und Möglichkeiten zu gewährleisten, ist es wichtig, die Einkommens- und Vermögensungleichheit einzudämmen. Hierfür sieht die GWÖ steuerpolitische Maßnahmen als bestgeeignete Mittel.
Konkret schlagen wir vor, die Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung für Menschen mit niedrigen Einkommen zu senken und den Mindestlohn zu erhöhen. Außerdem sollte die Mehrwertsteuer auf nachhaltige und gesunde Grundnahrungsmittel abgeschafft werden. Produkte, die sozial nachhaltig produziert werden oder dem Gemeinwohl dienen, sollten weniger besteuert werden, während Produkte, die dem Gemeinwohl schaden, stärker besteuert werden sollten.
Um die Einkommens- und Vermögensungleichheit sowie Erbvorteile zu verringern, schlagen wir vor, Kapitaleinkommen höher als Arbeitseinkommen zu besteuern, basierend auf dem Leistungsprinzip. Die wachsende Klasse der UHNWIs (Menschen mit einem investierbaren Vermögen von über 30 Millionen USD) sieht die GWÖ als Gefahr für die Machtverhältnisse und somit für die Demokratie an. Daher sollten Vermögen und Vermögenseinkommen, Millionenerben und Unternehmenserben stärker besteuert werden. Verschonungsklauseln und Gesetzeslücken, die Steuertricks für UHNWIs ermöglichen, sollten abgeschafft werden. Diese Besteuerung dient ähnlich dem Lastenausgleich unter Konrad Adenauer der Sicherung des sozialen Friedens.
Grundsätzlich sollte leistungsloses Einkommen höher besteuert werden als Arbeitseinkommen. Eine geringe Gehaltsspanne zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Gehalt in einem Unternehmen wird von der Gemeinwohl-Bilanzierung positiv bewertet.
Investitionen in soziale Infrastruktur und höhere Löhne in Mangelberufen können den sogenannten Fachkräftemangel größtenteils lösen. Höhere Löhne ermöglichen den Konsum von qualitativ hochwertigen, nachhaltigen Produkten mit längerer Lebensdauer.
Es ist dringend erforderlich, wachsende Armut und unfreiwillige Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Da diese oft nicht im Bruttoinlandsprodukt abgebildet werden, unterstützen wir die Etablierung einer alternativen Messung des Wohlstands, wie zum Beispiel das Gemeinwohl-Produkt (mehr).
Öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit, Pflege, Sozialwohnungen, Energie und Wasserversorgung sollten nicht profitorientiert betrieben werden, sondern verstärkt öffentlich bereitgestellt werden.
Um Menschen mit niedrigen Einkommen zu entlasten, sollten sie durch ein Klimageld für die Erhöhung des CO₂-Preises unterstützt werden. Dies ist notwendig, weil sie im Verhältnis weniger Klimaschäden verursachen und dennoch einen höheren Preis für die Folgen zahlen müssen – sowohl auf europäischer als auch auf globaler Ebene.
Für die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) sind stabile, existenzsichernde Löhne wichtig. Die GWÖ setzt sich nicht nur für faire Löhne in den Lieferketten ein, sondern auch für Unternehmen, die fair bezahlen, Zeitarbeit ablehnen und ihren Mitarbeitenden Transparenz über Gehälter bieten.
Zudem unterstützt die GWÖ die Organisation von Mitarbeitenden in Betriebsräten und Gewerkschaften. Dies ist nicht nur ein wichtiger Aspekt, um deren Rechte und Interessen zu schützen, sondern auch durch die Stärkung der Beschäftigtenvertretung diese in die Lage zu versetzen, bessere Arbeitsbedingungen aushandeln und sich an Entscheidungsprozessen beteiligen zu können. Unternehmen, die diese Prinzipien umsetzen, sollten Wettbewerbsvorteile erfahren.
Die Sozialpolitik spielt eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von mehr Wohlstand für alle, insbesondere für Menschen mit niedrigen Einkommen. Durch eine gerechte Sozialpolitik können wir verhindern, dass Migrantinnen und Migranten als Sündenböcke missbraucht werden für den abnehmenden Wohlstand und rechte Parteien erstarken. Es ist wichtig, dass die Sozialpolitik darauf abzielt, Chancengerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit zu fördern, um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen.
Die GWÖ plädiert für ein Rentensystem, das auf dem Umlageverfahren beruht, ein kollektiv-solidarisches Rentensystem, in dem alle Bürger einzahlen sowohl mit Einkommen aus Arbeit als auch aus Kapitalerträgen. Mit dem Neoliberalismus wird die eigenverantwortliche, private Vorsorge durch Kapitaleinkommen propagiert. So zahlen seit den letzten 30 Jahren immer weniger Besserverdienende in das gesetzliche Rentensystem ein. Wenn alle in das gesetzliche Rentensystem einzahlen und die Arbeitseinkommen steigen, ist der demographische Wandel zu verkraften. Profiteure der kapitalgedeckten Rente sind vor allem Fondsmanager und Versicherungen.
In der „Nationalen Strategie für soziale Innovationen und Gemeinwohl orientierte Unternehmen“ vom BMWK (mehr) sieht die GWÖ einen wichtigen Schritt zur Transformation. Dabei werden soziale Innovationen und Sozialunternehmen gefördert. Die GWÖ selbst ist auch eine soziale Innovation.
- Wirtschaftspolitik
Wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen, die das Gemeinwohl fördern und den Nutzen externalisieren, sollten Anreize erhalten. Dies kann beispielsweise über öffentliches Beschaffungswesen, Wirtschaftsförderung, Kredite, Steuern, Zölle und bessere Finanzierungskonditionen geschehen. Investoren sollten eine ethische Risikobewertung durchführen.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sollte durch eine alternative Messung des Wohlstands ergänzt werden. Dafür schlägt die GWÖ die Einführung das Gemeinwohl-Produkts (mehr) vor, um den Fortschritt und den Wohlstand eines Landes im Hinblick auf das Gemeinwohl zu messen. Die Indikatoren, die in das Gemeinwohl-Produkt fließen, sollten demokratisch festgelegt werden.
Es ist wichtig, dass wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand unabhängig von fossilen Energien ermöglicht werden. Generell und gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen sollte die Wirtschaftspolitik das Ziel haben, alle arbeitslos gewordenen Arbeitskräfte wieder einzustellen.
Unfreiwillig Arbeitslose sollten einer gemeinwohlfördernden Tätigkeit an ihrem Wohnort nachgehen können, die mit einem ausreichenden Mindestlohn bezahlt wird. Der Staat sollte in einer Rezession die Gehälter der Einrichtungen/Unternehmen übernehmen, die diese Jobs anbieten (Modell Jobgarantie). Die GWÖ hält Arbeitszeitverkürzungen für sinnvoll, weil Arbeitskräfte dadurch den mit der Arbeit verbundenen Belastungen kürzer ausgesetzt sind und weil sie so Aufgaben in Familie und sozialem Umfeld besser nachgehen können.
Gemeinwohl-Orientierung von Unternehmen
Wirtschaftliche Aktivitäten sollten dem Gemeinwohl als übergeordnetem Ziel dienen, wie es in vielen Verfassungen (z.B. §151 Bay. Verf.) bereits festgelegt ist. Daher sollten Unternehmen anhand ihres Beitrags zum Gemeinwohl bewertet werden und eine Gemeinwohl-Bilanz (Def.) erstellen. Diese Bilanz sollte wenigstens die Erfüllung der folgenden Werte überprüfen: Menschenwürde, Solidarität & Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz & Mitentscheidung. Die Messung des wirtschaftlichen Erfolgs anhand der oben genannten Werte, inklusive einer externen Auditierung, soll gesetzlich verankert werden.
Lieferketten-Sorgfaltspflicht
Auf Basis der GWÖ, sollte sich die deutsche Bundesregierung klar zu der EU-Richtlinie zur Lieferketten-sorgfaltspflicht (CSDDD) zu bekennen. Sie begrüßt den Beschluss des EU-Parlaments zur Lieferkettengesetz-Richtlinie. Noch besser wäre eine verpflichtende Gemeinwohl-Bilanz, denn sie leistet nicht nur Transparenz, sondern schafft auch die Möglichkeit zur Verknüpfung mit positiven und negativen Anreizen für z. B. besonders klimafreundliche oder -schädliche Unternehmen. Darüber hinaus empfiehlt die GWÖ, dass das Management direkt in die Verantwortung genommen wird und eine einklagbare Pflicht zur Überwachung der Sorgfaltspflichten hat, anstatt nur zur „Beachtung“ von Risiken“ in Bezug auf Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz verpflichtet zu sein. Diese Pflicht sollte durch die Zivilgesellschaft einklagbar sein.
Nachhaltigkeits-Berichtspflicht, CSRD
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) begrüßt grundsätzlich die Einführung der Nachhaltigkeits-Berichtspflicht (CSRD), doch der Vorteil der CSRD – einer verpflichtenden Berichterstattung – reicht allein nicht aus, weil er u.U. nur „Datenfriedhöfe“ schafft, jedoch kein verändertes Verhalten in der Wirtschaft bewirkt (ganz abgesehen davon, dass er 99% der Wirtschaft außen vorlässt). Viel wichtiger ist eine Nachhaltigkeitsbewertung, wie sie durch die Gemeinwohl-Bilanz erfolgt, an die dann klare Konsequenzen geknüpft werden. Transparenz ist zwar eine notwendige Voraussetzung, bewirkt allein allerdings noch keine echte Transformation. Weniger kann in diesem Fall mehr sein: Die Gemeinwohl-Bilanz erzeugt weniger Daten, jedoch mehr Wirkung.
Die GWÖ sieht eine Überarbeitung des umfangreichen Fragenkatalogs mit über 1.100 Datenpunkten als notwendig an, der maßgeblich von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften entwickelt wurde. Die GWÖ schlägt folgende Verbesserungen vor, um sicherzustellen, dass die CSRD tatsächlich den Green New Deal ermöglicht:
- Die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sollte auf alle Unternehmen ausgeweitet werden, die bereits der finanziellen Berichtspflicht unterliegen. Derzeit sind nur 49.000 oder 0,2% aller EU-ansässigen Unternehmen betroffen.
- Soziale und ökologische Standards sollten direkt von den Gesetzgebern definiert und festgelegt werden, ähnlich wie es bereits mit der EU-Umwelttaxonomie begonnen wurde.
- Die Gemeinwohl-Bilanz, ein vorbildliches Berichtsrahmenwerk, sollte in die EU-Richtlinie und in die nationalen Umsetzungsgesetze einfließen, wie es vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) im Jahr 2015 empfohlen wurde.
- Die Nachhaltigkeits-Berichterstattung sollte zu quantifizierbaren und vergleichbaren Ergebnissen führen, die auf Produkten, Websites und im Firmenregister sichtbar sind. Dadurch können Konsumenten, Investoren und die allgemeine Öffentlichkeit informierte Entscheidungen treffen.
- Die Inhalte von Nachhaltigkeitsberichten sollten, ähnlich wie Finanzberichte, extern auditiert werden und mit dem Prüfvermerk „hinreichende Sicherheit“ (reasonable assurance) versehen sein.
- Die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen sollte mit rechtlichen Anreizen verbunden werden, um die Marktkräfte zur Förderung gesellschaftlicher Werte zu nutzen und verantwortungsbewussten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Dies könnte beispielsweise über öffentliche Beschaffung, Wirtschaftsförderung oder Steuern erfolgen. Als Folge würden Produkte und Dienstleistungen von nachhaltigen und verantwortungsbewussten Unternehmen auf Märkten preisgünstiger sein als solche, die soziale und ökologische Schäden verursachen und dadurch Gesellschaften ärmer machen.
Solche intelligenten Anreize würden den aktuellen Systemfehler korrigieren, dass die Externalisierung von Kosten zu einem Wettbewerbsvorteil auf Märkten führt.
Finanzwirtschaft
Die Finanzwirtschaft spielt eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft und beherrscht die Wirtschaft wie nie zuvor. Leider führt dies oft zu einer Konzentration von Macht und Vermögen, was zu einer wachsenden Ungleichheit führt. In der Realwirtschaft fließt das große Geld nur in die großen Aktiengesellschaften. Mittelständige Firmen werden regelmäßig von ihnen aufgekauft.
Aus diesem Grund ist es wichtig, die Finanzwirtschaft strenger zu regulieren und sie in nachvollziehbaren Grenzen zu führen. Eine Reform des Bankwesens hin zu einer Gemeinwohl-Orientierung ist dabei zwingend.
Banken werden öffentlich reguliert und überwacht und sollten daher als öffentliche Institutionen betrachtet werden. Außerdem erhalten sie eine Lizenz von der Zentralbank und ihre Einlagen werden bis zu einer bestimmten Höhe vom Staat garantiert. Banken können unbegrenzt staatliche Währung von der Zentralbank leihen. Wenn sie als systemrelevant eingestuft werden, werden sie vom Staat vor dem Bankrott geschützt. Unter diesen Bedingungen sollte der Staat sicherstellen, dass alle Banken dem Gemeinwohl verpflichtet sind.
Banken sollten das Gemeinwohl durch produktive Kreditvergabe fördern, wozu öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Banken offiziell verpflichtet sind. Es ist wichtig, dass staatliche Unterstützung, wie der Zugang zur Zentralbank, die Einlagensicherung, Geschäfte mit dem Staat und Notfallmaßnahmen, nur Banken gewährt wird, die sich verpflichten, eine Gemeinwohl-Charta zu erfüllen. Ein solcher Kriterienkatalog sollte die Gemeinwohl-Orientierung in der Satzung, eine Gemeinwohl-Bilanz, ein konservatives Geschäftsmodell (nur Kredite und Spareinlagen), eine Gemeinwohl-Prüfung aller Kreditprojekte und eine gemeinwohlorientierte Gewinnverwendung umfassen.
Bankenregulierung
Die Regulierung der Banken ist ein zentrales Anliegen der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Sie empfiehlt eine strengere Regulierung der Banken, um die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. Dazu gehören Maßnahmen wie eine Mindest-Eigenkapitalquote von 10 % und die Trennung von Investment Banking und anderen Bankgeschäften. Es sollte keine systemrelevanten Großbanken („Too big to fail“) mehr geben, die im Konkursfall ohne staatliche Rettung schwere gesellschaftlichen Folgen bewirken würden.
Auf internationaler Ebene sollte es ein striktes Verbot für unproduktive Finanzprodukte geben, die nicht die Produktion oder den Handel mit realen Gütern und Dienstleistungen begünstigen. Dazu gehören „spekulative Wetten“ auf Rohstoffe, Währungen und vor allem Lebensmittel. Sowohl Hochfrequenzhandel als auch Derivate sollten abgeschafft werden, da sie keine realen Werte schaffen.
Es ist wichtig, dass Banken Kredite nicht verkaufen können. Kredite sollten nur für Realinvestitionen vergeben werden dürfen und nicht für Finanzinvestitionen, wie z.B. den Kauf von Wertpapieren. Banken sollten auch keine Zweigniederlassungen in Ländern führen dürfen, wo die Bankenaufsicht erschwert ist. Des Weiteren sollten Banken keine Kreditausfallversicherungen kaufen oder verkaufen, da dies die Kreditrisikoprüfungen weitgehend obsolet macht. Kreditprojekte sollten einer finanziellen und einer ethischen Prüfung unterzogen werden. Nur wenn beide Prüfungen positiv ausfallen, sollte eine Kreditvergabe möglich sein.
Um bei zukünftigen Bankenpleiten keine staatlichen Hilfen mehr in Anspruch nehmen zu müssen, ist eine Reform des europäischen Abwicklungsprozesses erforderlich. Eine europäische Behörde nach dem Vorbild der US-amerikanischen FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) sollte eingerichtet werden, um im Falle einer Bankeninsolvenz umfassende Befugnisse zu haben und die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger zu schützen.
- Geld- und Finanzsystem
Die GWÖ setzt sich für eine demokratische Kontrolle der Geldschöpfung und eine Begrenzung des Finanzmarktes ein. Die Ausgabe und Verwendung von Geld, sei es in Form von Krediten oder Anlagevermögen, sollte klare Kriterien erfüllen, die am Gemeinwohl ausgerichtet sind und in einem demokratischen Prozess festgelegt werden. Die Eurozone als Währungsgemeinschaft sollte so reformiert werden, dass Fiskalpolitik (Staatsausgaben, Steuern) endlich auch als eine Gemeinschaftsaufgabe betrachtet wird. Alle 20 Länder zusammen, in denen mit Euro bezahlt wird, sind monetär souverän, unterliegen also keinem Finanzierungsvorbehalt. Das bedeutet: Alles, was wirtschaftlich umsetzbar ist, kann auch bezahlt werden – ohne, dass es zu einer Überschuldung und Belastung in der Zukunft kommt. Von diesem geldtheoretischen Fakt weicht jedoch der rechtlich und institutionell verankerte Handlungsspielraum ab. Dass die Mitgliedstaaten derzeit zum Sparen gezwungen werden, bei der Ausgabe von Staatsanleihen in destabilisierende Konkurrenz auf dem Kapitalmarkt versetzt werden und aktuell hohe Zinskosten schultern müssen, liegt an falschen Vorstellungen über die Funktionsweise des Geldsystems, darauf aufbauend verabschiedeten Gesetzen, die auf dem Wettbewerbsgedanken und der Annahme aufbauen, dass ein Staatshaushalt wie ein Privathaushalt erst Geld einnehmen muss, bevor er welches ausgeben kann. Es verhält sich umgekehrt: Erst die Herausgabe der Währung Euro durch die EZB schafft Privatvermögen bei Unternehmen und Haushalten, die davon anteilig Steuern zahlen können.
Dieses Bewusstsein, gilt es, im gesamten politischen Spektrum zu etablieren. Dann kann die EZB das Geld bereitstellen, was für öffentliche Investitionen in nachhaltige Infrastruktur, Bildung, das Gesundheitswesen, den Umbau in fossilfreie Produktion und Mobilität und weitere Themen des Gemeinwohls notwendig ist und von immer mehr Akteuren öffentlich eingefordert wird. Bei politischem Willen ist dies auch ohne Änderung des EU-Rechts möglich: Die Europäische Investitionsbank könnte Gemeinschaftsanleihen an die EZB verkaufen, welche Geld erzeugt, und den Mitgliedsstaaten finanzielle Mittel bereitstellen, welche es für die Förderung des Gemeinwohls ausgeben können, ohne verschuldet zu sein. In ähnlicher Form ist in der Corona-Pandemie und dem Krisenfonds „NextGenerationEU“ bereits geschehen.
Wenn Steuern nicht länger als Finanzierungsinstrument betrachtet werden, können sie umso effektiver dafür genutzt werden, all jenes Verhalten und Vermögen zu besteuern und damit zu verringern, welches dem demokratischen Verständnis von Gemeinwohl entgegensteht. Hier wird der Wirtschaft schlicht Finanzvermögen wieder entzogen.
Die Geldpolitik der EZB in Form von Leitzins-Senkung oder Anhebung sowie Sparpolitik hat sich als ineffektiv erwiesen, um die Inflation zu kontrollieren oder die Wirtschaft zu stärken. Diese Politik begünstigt die Finanzwirtschaft und destabilisiert insbesondere die mittelständischen Unternehmen in der Realwirtschaft. Diese einseitige Politik führt zu einer kontinuierlich wachsenden EU-Ablehnung in der Bevölkerung.
Die GWÖ begrüßt die Einführung des digitalen Euros, mit dem Ziel, dass die Europäische Zentralbank (EZB) langfristig das ausschließliche Recht für die Geldschöpfung hat. Damit wäre eine demokratische Kontrolle gewährleistet und die übermäßige Expansion des Finanzsektors wie sie in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war, könnte auf ein gesundes Maß reduziert werden. Derzeit ist der Anteil von der EZB geschöpftem Geld (Zentralbankgeld) in der Eurozone minimal ggü. dem Anteil, den die Geschäftsbanken schöpfen (Giralgeld).
Deutschland sollte die Schuldenbremse aus der Verfassung streichen. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Unternehmen und die Kommunen leiden unter der Sparpolitik Deutschlands. Es ist wichtig, dass die Kommunen mehr finanzielle Unterstützung vom Bund erhalten, da sich die Auswirkungen der Sparpolitik besonders im stetigen Abbau öffentlicher Versorgung zeigen. Staatsschulden nach dem oben erläuterten Verständnis sind vielmehr Ausgabenüberschüsse ohne finanzielles Ausfallrisiko. Japan beispielsweise weist trotz einer Verschuldung von weit über 200% des BIP eine widerstandsfähige Wirtschaft und Preisstabilität auf.
Kapitalverkehr und Steuersystem
Die GWÖ sieht eine umfassende Reform des Kapitalverkehrs als notwendig, um Steuerhinterziehung und -flucht zu bekämpfen. Der Kapitalverkehr sollte erst frei sein, wenn alle steuerrechtlichen Daten erfasst sind und an die zuständigen Finanzbehörden übermittelt wurden. Es ist wichtig, dass große internationale Konzerne angemessene Steuern zahlen, auch hierzulande. Daher sollte die EU sich an einem multilateralen Steuerkooperationsabkommen in der OECD oder sogar in der UNO beteiligen.
Dieses multilaterale Abkommen sollte auf alle Arten von Kapitaleinkommen und juristische Personen, einschließlich Trusts und Stiftungen, ausgeweitet werden. Um sicherzustellen, dass alle Länder kooperieren, sollten Sanktionen des Kapitalverkehrs gegen Drittländer verhängt werden, die sich nicht an diesem Abkommen beteiligen oder dagegen verstoßen.
Die Abwicklung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs sollte als öffentliche Aufgabe von Zentralbanken oder eigener öffentlicher Clearing-Banken betrachtet werden, um die Sicherheit des „öffentlichen Guts Geld“ zu gewährleisten.
Die GWÖ lehnt Steuerwettbewerb sowohl innerhalb Europas als auch innerhalb Deutschlands ab. Deswegen plädiert sie für eine einheitliche Besteuerung inländischer Unternehmen, unabhängig von ihrem Standort. Deutschland sollte das Prinzip der Gesamtkonzernbesteuerung bei multinationalen Unternehmen einführen, um eine faire anteilsmäßige Besteuerung der realwirtschaftlichen Tätigkeit sicherzustellen und Steuervermeidung zu verhindern.
Darüber hinaus sollte sich Deutschland für die Einrichtung einer globalen Steuerbehörde einsetzen, die die Umsetzung der Gesamtkonzernbesteuerung überwacht und Regeln für eine global konsolidierte Konzernsteuerbilanz entwickelt.
Die GWÖ unterstützt die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT), die für alle Finanztransaktionen gelten soll, unabhängig von der Art des gehandelten Finanzinstruments oder des Volumens. Zusätzlichen sollten Derivate (insbesondere reine Finanzwetten), sofern sie keinen realwirtschaftlichen Nutzen stiften (z.B. Absicherung von Unternehmen gegen Preis- und/oder Wechselkursschwankungen), durch eine hohe Besteuerung unattraktiv gemacht bzw. gleich verboten werden.
- Umwelt und Energie
Die Förderung ökologisch nachhaltigen Wirtschaftens kann durch die Einführung einer Gemeinwohl-Bilanz und entsprechender (steuer-) rechtlicher Konsequenzen erreicht werden. In diesem Zusammenhang bieten sich Maßnahmen an wie die Begünstigung von gemeinwohlorientierten Unternehmen bei öffentlichen Beschaffungen und durch geringere Steuern. Branchen und Industrien, die dem Gemeinwohl schaden und nicht ökologisch nachhaltig sind, sollten mit höheren Steuern belegt werden. Die Ausrutscher bei der EU-Taxonomie müssen korrigiert werden. Atomkraft und Erdgas sind keine nachhaltigen Energiequellen und sollten daher kein grünes Label erhalten und aus der EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen gestrichen werden.
In Bezug auf Landwirtschaft und Ernährung sollte die gemeinsame Agrarpolitik der EU reformiert werden. Statt Subventionen an Betriebe zu vergeben, die die größten Flächen bewirtschaften, sollten diejenigen gefördert werden, die sich am meisten für die Umwelt und das Gemeinwohl einsetzen.
Eine auf Biodiversität ausgerichtete ökologische Landwirtschaft leistet wertvolle Beiträge zum Gemeinwesen, wie die Erhaltung der Wasserqualität, die Bildung von Grundwasser, die Bindung von Kohlenstoff in den Böden, die Verringerung der Luftverschmutzung, den Schutz vor Überflutungen sowie den Schutz von Wildtieren und -pflanzen. Ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft produziert nicht nur mehr Nahrung als industrielle Landwirtschaft, sondern trägt auch zu einer gesünderen Ernährung bei, da sie ohne Pestizide und synthetischen Dünger auskommt. Subventionen sollten nur an Landwirtschaftsbetriebe vergeben werden, die klima- und umweltschonend produzieren und artgerechte Tierhaltung betreiben.
Der Ausstieg aus fossilen Energien erfordert eine stetige Reduzierung der Fördermenge von Öl, Gas und Kohle sowie eine kontinuierliche Preiserhöhung dieser Brennstoffe. Deutschland sollte gemeinsam mit der EU und anderen Ländern darauf hinarbeiten, dafür internationale Vereinbarungen zu treffen, die von der internationalen Staatengemeinschaft überwacht werden. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Marktwirtschaft, die auf freie Preisbildung setzt. Allerdings kann das Ziel, den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien zu erreichen und die fossilen Brennstoffe langfristig im Boden zu belassen, nicht allein durch den freien Markt erreicht werden. Die Fördermengen und Preise müssen global festgelegt werden. Gleichzeitig ist eine umfangreiche Umverteilung zugunsten von Menschen mit niedrigen Einkommen erforderlich, da sie überproportional von den steigenden Energiepreisen für Mobilität und Konsum betroffen sind. Ohne eine starke Sozialpolitik wird der notwendige Strukturwandel und damit auch die Umweltpolitik auf Ablehnung stoßen.
Die Gemeinwohl-Ökonomie begrüßt den Ausstieg aus fossilen Energien. Allerdings kann der Anstieg der Erderwärmung nur durch ein neues wirtschaftliches System gestoppt werden, dass ohne steigenden Rohstoff- und (fossilen) Energieverbrauch auskommt und das sich von einem BIP-Wachstum unabhängig macht. Die GWÖ ist für ein Wachstum des Wohlstands im Sinne des Gemeinwohls.
- Außenwirtschaftspolitik / Handelspolitik
Deutschland sollte das Ziel der Europäischen Union verfolgen und eine ausgeglichene Handelsbilanz anstreben. Exportüberschüsse, die auf niedrigen Reallöhnen basieren, mögen zwar die Gewinne der Unternehmen steigern, tragen jedoch nicht zum allgemeinen Wohlstand bei.
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) setzt sich für einen sozial-ökologischen Welthandel ein, der den Menschen- und Arbeitsrechten, dem Umwelt- und Klimaschutz, dem sozialen Zusammenhalt, der Verteilungsgerechtigkeit und der kulturellen Vielfalt dient.
Die GWÖ setzt sich für eine faire Globalisierung ein, die den internationalen Frieden sichert, anstatt die Produktion, und damit die Probleme, in Länder mit niedrigen Löhnen und fehlenden Umweltstandards zu verlagern.
Existenzsichernde Löhne sollten weltweit eingeführt werden. Die Einführung des Lieferkettengesetzes ist ein erster Schritt in diese richtige Richtung (siehe Absatz Wirtschaft). Es ist wichtig, die Natur vor ressourcenintensiven globalen Transporten zu schützen und sicherzustellen, dass die Aufsplittung von Produktionsprozessen und die globale Arbeitsteilung keine ökologischen Schäden verursachen.
Gemeinwohlorientierte demokratische Staaten sollten das Recht haben, ihre Wirtschaft vor mächtigen Konzernen zu schützen. Handelsverträge sollten demokratische Verfahren nicht umgehen (keine Schiedsgerichte, keine Investitionsschutzabkommen, keine Beschleunigungsverfahren auf Kosten der Umwelt).
Alle Staaten sollten sich zu ausgeglichenen Handelsbilanzen verpflichten, um die Weltwirtschaft im Gleichgewicht zu halten. Kleine und vorübergehende Abweichungen sollten toleriert werden, während größere und längere Abweichungen progressiv sanktioniert werden sollten – zum Beispiel durch Zinsen, günstige Kredite von Überschuss- an Defizitländer oder durch Auf- und Abwertung der Wechselkurse (»Keynes-Ansatz«).
Alle Handelsabkommen sollten reformiert werden. Freihandel sollte nur möglich sein, wenn Standards für Umwelt, Arbeitsschutz und Mindesteinkommen erfüllt sind.
Die EU sollte aufhören, Länder des globalen Südens zur Privatisierung ihrer Infrastruktur zu drängen. Bilaterale Handelsverträge für Freihandel mit schwächeren Ländern haben zur Deindustrialisierung im Globalen Süden geführt und Menschen zur Migration getrieben. Ein Schuldenschnitt für Länder des globalen Südens ist ein guter Anfang. Langfristig sollte eine multilaterale Handelsordnung innerhalb der UNO angestrebt werden, die auf ausgeglichenen Leistungsbilanzen, Steuergerechtigkeit, Klimaschutz, Menschenrechten und Frieden basiert.
Fragen an die AG-Politik Deutschland der Gemeinwohl-Ökonomie:
politik-de@econgood.org, annabel.konermann@econgood.org
Deutschland, März 2024
Vortragsskript vom Einstiegsabend am 27.06.2024
Grundsätzliches über Demokratie
Unter Demokratie verstehen wir in erster Linie die Herrschaft des Volkes durch freie, gleiche und allgemeine Wahlen. Das ist, denke ich, jedem klar. Ein kluger Mensch gab da aber zu bedenken: Alle Gewalt geht vom Volke aus, aber wo geht sie hin? Die Antwort darauf wird gewöhnlich in eine Verfassung geschrieben.
In Deutschland ist es breiter Konsens, dass das unser Grundgesetz ist. Zur Demokratie gehören also des Weiteren die Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive und Judikative), die Rolle und Bedeutung von Parteien, repräsentativer oder direkter Entscheidungsmodus, dann wie Wahlstimmen in Mandate umgesetzt werden (Mehrheits- oder Verhältniswahl), schließlich die Rechte von Minderheiten und die Rechtsstaatlichkeit (Unterwerfung aller unter Recht und Gesetz).
Ich möchte jedoch weniger auf diesen – freilich unabdingbaren – Rechtsrahmen von Demokratie eingehen, sondern mehr auf unser Grundsätzliches Politik-Verständnis, nämlich dort, wo es für manchen durchaus schmerzhaft wird.
Es gilt sich m. M. n. von dem volkstümlichen Regierungsverständnis loszusagen, dass meint, es ginge darum, jemanden zu finden, der das Volk wohlmeinend und weise lenkt. Das wäre ein patriarchales (oder matriarchales), also ein antidemokratisches Gedankengut.
Man muss sich ebenfalls von dem gedanklichen Reflex lösen, dass Gesellschaft bzw. gesellschaftliches Gegeneinander in Gemeinschaft zu überführen sei. Nein, eine demokratische Verfasstheit realisiert politische Freiheit u.a. durch Förderung und Schutz der Organisierung von Interessen, also des Gegeneinanders wie des Miteinanders, auch jenseits von Mehrheitsmeinungen, konkret durch Erlaubnis der Gründung und Betätigung von Parteien, Verbänden und Vereinen.
Demokratisch zu sein, heißt Pluralismus (also den Meinungsstreit) nicht nur zu ertragen, sondern ihn zu institutionalisieren, d.h. ihm rechtliche Anerkennung und Schutz zu geben. Am prominentesten durch den Verfassungsrang der Pressefreiheit, der Parteien, aber ebenso durch das Versammlungs- und Demonstrations- sowie dem Vereinsrecht. Hier kommt eben auch die Zivil-oder Bürgergesellschaft ins Spiel, ohne die es zB den Göttinger Radentscheid nicht gegeben hätte.
Mein Fazit zuerst einmal:
Ablehnung eines volkstümlichen Verständnisses von guter Herrschaft
Abschied nehmen von harmonistischen, familiären Vorstellungen, die auf staatliches Regierungshandeln übertragen werden.
Wir halten Demokratie für die fortgeschrittenste Form von verfasster Herrschaft in der Geschichte der politischen Menschheitsgeschichte. Demokratie entspricht einer entwickelten, erwachsenen Persönlichkeit:
- die ist konfliktfähig (kann Streit lösungsorientiert, deeskalierend austragen und muss ihn nicht unterdrücken),
- hat Frustrationstoleranz (kann Wahlniederlagen hinnehmen, no Trump),
- kann Andersartigkeit respektieren (andere Herkunft, andere sexuelle Orientierung),
- verankert Gleichberechtigung (One People One Vote, alle Menschen sind gleich) im alltäglichen Denken und Handeln.
- Die demokratische Persönlichkeit verfügt idealerweise sowohl über ein gesundes Selbstbewusstsein für die Durchsetzung ihrer Interessen als auch über Kompromissbereitschaft.
Fragen
So, jetzt muss ich zwischendurch das Volk mit einbeziehen, sonst wird’s undemokratisch. (Zwinker-Smily)
Wer gehört eurer Meinung nach zum stimmberechtigten Volk: alle Staatsbürger oder alle die in einem Staat leben?
Wenn ihr dem im Großen und Ganzen zustimmt, bezüglich der Interessenvertretung und dem legitimen Streit um Macht und Einfluss in der Politik, kurz bei all dem positiven Ego: Wo bleibt denn dabei das Gemeinwohl?
„Echte Herrschaft des Volkes“, gut und schön. Aber wo bleibt das Recht der Natur, die dabei ja keine Stimme hat?
Demokratie ist eigentlich nur etwas Formales. Es geht doch um Inhalte, um ein gutes Leben für alle. Was wenn wenige Reiche und Mächtige infolge des Systemzustands gemäß ihren Interessen mittels Demagogie und Korrumpierung der Regierenden die Meinung der Massen manipulieren? (Braucht es also die Diktatur der Gerechten?)
Mehr-Demokratie-Vorstellungen der GWÖ (Chr. Felber)
(Siehe dazu auch: https://www.derstandard.de/story/2000125887770/autor-und-aktivist-christian-felber-fragt-sich-wer-ist-hier)
Die Gemeinwohl-Ökonomie nennt ihre Vorstellung eines wünschenswerten politischen Systems „Souveräne Demokratie“. Dazu sind die 3 wesentlichen Ziele der GWÖ in Erinnerung zu rufen:
- Wiedereingliederung der Wirtschaft durch den Übergang zu einer „kooperativen Marktwirtschaft“. Das meint Vorrang für Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Mitentscheidung im Wirtschaftsgeschehen. Demgegenüber sollen Gewinnmaximierung und Marktdominanz nicht mehr handlungsleitend sein.
- Daraus folgt die Umstellung auf ein Geschäftssystem, das den Erfolg anhand der genannten Werte misst. Ein Unternehmen soll dann erfolgreich sein und davon profitieren, wenn es den Gemeinsinn, die Beziehungen der Menschen zueinander und zur Natur bekräftigt und nicht erodiert.
- Demokratische Festlegung der Eckpfeiler des wirtschaftlichen Rechtsrahmens, die zu konkreten Vorschlägen für die Reform der nationalen Verfassungen und internationalen Abkommen führen.
Um den 3. Punkt umzusetzen, ist eine systematische Erweiterung der repräsentativen Demokratie um direkte Elemente (Beteiligungsverfahren) erforderlich. Die GWÖ nennt es:
Souveräne Demokratie
Souverän bedeutet „über allem stehend“. Diese Macht ist per Definition in Demokratien dem Volk vorbehalten. Bei genauerer Betrachtung haben wir aber keine derart weitreichenden Befugnisse: Durch Volksabstimmung
- darf die Verfassung weder geändert noch durch einen demokratischen Prozess neu geschrieben werden.
- Wir haben nicht die Letztentscheidung über Krieg und Frieden,
- können keine Gesetzesvorhaben der gewählten Vertreter stoppen und
- haben keine Möglichkeit, eine Volksinitiative für einen bundesweiten Volksentscheid zu starten.
- Wir können eine Regierung nicht abwählen,
- die Grundversorgung mit Wasser und Energie nicht unter direkter Regie der Bevölkerung nehmen,
- keine Grundsatzentscheidung über das Geldsystem treffen,
- haben kein Mandat für Handelsabkommen,
- können auch nicht über das Zollrecht bestimmen.
- Wir können die Wahlperiodizität nicht ändern und auch
- keine Regierungskoalitionen wählen.
War früher ein Monarch ein echter Souverän, so sollte ihre Nachfolgerin, die allgemeine Bevölkerung eines Landes, nach dem Anspruch der Aufklärung eigentlich alle Souveränsrechte übertragen bekommen. Aber alle Macht wurde auf die Vertreter des Souveräns übertragen, die sogar darüber entscheiden, wie oft sie gewählt werden dürfen.
Diese umfangreiche Abtretung von Grundsatzentscheidungen an gewählte Vertreter mag man in Zeiten einer mehrheitlich ungebildeten, kirchenhörig-untertänig geprägten Landbevölkerung befürworten. Aber sie sollte sich doch längst zusammen mit Bismarcks Blut-und Eisen-Philosophie zum Altmetall auf dem Schrottplatz der Geschichte befinden.
Wir denken, dass dann eine Verfassungsklausel, wie: „Alle wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, als Ergebnis eines Wirtschaftskonvents zu erwarten wäre. Nur ein Beispiel dafür, das eine Vorstellung davon erlaubt, wie Missstände abgestellt würden:
- 1980 verdienten Firmenvorstände in den USA 35-mal so viel wie einfache Arbeiter.
- 1992 versprach Bill Clinton die Bezahlung von Führungskräften zu begrenzen, denn sie bekamen mittlerweile 105-mal so viel wie einfache Arbeiter.
- Im letzten Amtsjahr von Clinton, im Jahr 2000, hatte sich schließlich der Einkommensunterschied verdreifacht, nämlich auf 366 zu 1. (Aus: Michael J. Sandel: „Das Unbehagen in der Demokratie. Was die ungezügelten Märkte aus unserer Gesellschaft gemacht haben“, Frankfurt a. M. 2023, S. 388 )
2021 verdiente ein Göttinger Vorstand bei Sartorius „nur“ 20-mal so viel wie die durchschnittliche Personalaufwendung für ein*e Mitarbeiter*in. Das entspräche dem Höchstwert, der üblicherweise beim Systemischen Konsensieren noch „durchgeht“ und liegt am unteren Ende der Dax-Vorstände. Adidas bezahlt den deutschen Spitzenwert, das 114-fache. (statista 2021)
Wie aber das Volk entscheiden lassen?
Mit dem Systemischen Konsensieren ist bereits eine gute Methode benannt, um den „Willen des Volkes“ zu derartigen Fragestellungen entscheiden zu können: Man misst den Widerstand gegen alle oder gegen die am häufigsten vorgebrachten Optionen. Dann weiß man nach der Abstimmung, welche Lösung am tragfähigsten für die Wählerschaft ist. (Siehe zB die vereinfachte Erklärung in: https://youtu.be/A5As9tcy2dU)
Das ist nur eine Wahltechnik. Wichtiger ist es, darüber nachzudenken, wie Fragen zur Verfassung oder zum Wirtschaftssystem demokratisch entschieden werden können. Historisch und gegenwärtig gibt es vielfältige Erfahrungen mit räte-ähnlichen Formen der Bürgerbeteiligung und Entscheidungsfindung, die Konvente und die Bürger- oder Zukunftsräte oder -foren. Hierzu haben die GWÖ, aber auch Bewegungen wie „Mehr Demokratie“ (https://www.mehr-demokratie.de/) bereits Vorschläge ausgearbeitet. Sie haben ein besonderes Augenmerk auf die sozialstrukturell repräsentative Zusammensetzung der Räte, wie auch auf die Frage gelegt, welche Verbindlichkeit den Resultaten der Räte beigemessen werden soll. Sollen sie lediglich empfehlenden Charakter für Regierung und Parlament haben, ähnlich denen der „5 Wirtschaftsweisen“? Sollen die Ratsergebnisse von der Legislativen Gewalt (den Abgeordneten) öffentlich besprochen werden müssen? Oder sind sie bereits wie beschlossene Gesetze von Parlament und Bundesrat hinzunehmen?
Wirtschaftsdemokratie
Was vlt nur wenige wissen, es gibt sie bereits im Aktienrecht (Zwinker-Smily):
Exkurs: Was können Aktionärinnen und Aktionäre bewirken?
Im Prinzip haben alle Aktionäre die gleichen Rechte, unabhängig davon, wie viele Aktien sie besitzen. Sogenannte Minoritätsrechte schützen Kleinanleger darüber hinaus davor, dass die Mehrheit sie in ihren Rechten beschneidet. Das Aktiengesetz regelt: Jeder Aktionär – selbst wenn er nur eine einzige Aktie hält – hat bei der jährlichen Hauptversammlung ein Rederecht und darf auch Gegenanträge zu den Anträgen von Vorstand und Aufsichtsrat stellen. Er kann zudem selbst Kandidatinnen und Kandidaten für den Aufsichtsrat vorschlagen.
Für weitergehende Rechte ist entscheidend, welchen Anteil am sogenannten Grundkapital ein Investor besitzt. Der ergibt sich, wenn man den gesetzlich festgelegten Nennwert der Aktien (nicht den Kurs) mit deren Anzahl multipliziert. Aktionäre, die ein Prozent oder mindestens 100.000 Euro des Grundkapitals halten, können den Antrag stellen, dass die Arbeit des Vorstands von einem unabhängigen Sonderprüfer begutachtet wird. Wer mindestens fünf Prozent oder 500.000 Euro des Grundkapitals besitzt, kann außerdem Ergänzungsanträge stellen: Dann muss der Vorstand diese Themen auf die Tagesordnung setzen. (Aus: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2024/geld/der-richtige-hebel)
Erwin Wobbe, 20. Juni 2024
Modell „Jobgarantie“ – Bedingungsloses Jobangebot im Gemeinwohl orientierten Bereichen-
Warum Vollbeschäftigung in der Gemeinwohl-Ökonomie?
Workshop auf der GWÖ-Sommerwoche 2024
mit Annabel Konermann & Erwin Wobbe, beide tätig in der Arbeitslosenvermittlung
Recht auf Arbeit= UNO-Menschenrecht
Für die meisten Menschen werden die grundlegenden Lebensbedürfnisse sowie der Wunsch nach gesellschaftlicher Teilhabe durch deren Arbeitsplatz erfüllt. Die psychologische Forschung: der Wert, den der Einzelne seiner Arbeit zuschreibt, ist nicht nur abhängig vom Einkommen, sondern auch und gerade von: soziale Einbindung, in Gemeinschaft, der Möglichkeit etwas zur Gesellschaft beizutragen, der Befriedigung der intrinsischen Motivation für kreative Triebe, dem Fördern des Selbstwertgefühls und dem Raum zur Selbstverwirklichung
Folgen von Arbeitslosigkeit bei den meisten Menschen
Arbeitslosigkeit führt neben den finanziellen Kosten besonders zu sozialen Kosten, wie diverse Studien belegen: sie geht einher mit sozialem Ausschluss, Frustration, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle, Verringerung der Selbstachtung und wird als struktureller Auslöser für Depressionen u.a. psychische Erkrankungen gesehen.
Es mag kreative Menschen geben, die in der Arbeitslosigkeit aufgehen, solange sie finanziell abgesichert sind. Das betrifft aber nur eine kleine Gruppe.
Willkommene unfreiwillige Arbeitslosigkeit im neoliberalen Ideal
(nach Maurice Höfgen, Mythos Geldknappheit, S. 159 f.)
- Vollbeschäftigung altes Ideal
- seit 80er Jahre ist es das Paradigma der Vollbeschäftigungsfähigkeit
- nach der Definition ist arbeitslos = nicht vollbeschäftigungsfähig
- Die makroökonomischen Gründe für Arbeitslosigkeit: Nämlich zu geringe Gesamtnachfrage und die sozialen Kosten dafür wurden unberücksichtigt, Wandel von Nachfragepolitik zur Angebotspolitik.
Arbeitslosigkeit wird betrachtet als Ergebnis fehlender individuelle Wettbewerbsfähigkeit.
Die ideologische Abneigung gegen proaktive, nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik hat zu wirtschaftspolitischen Entscheidungen wie Schuldenbremse oder dem Befolgen von Austeritätspolitik geführt mit dem Ergebnis permanenter Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung.
Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist ein Zeichen, dass die Volkswirtschaft unter ihrem eigentlichen Potential agiert, also die verfügbaren Ressourcen nicht ausgelastet sind.
Bis zum neoliberalen Zeitalter war Vollbeschäftigung ein explizites wirtschaftspolitisches Ideal, auf das Fiskal- u Geldpolitik zugeschnitten wurden.
Die neoliberale Denkweise hat dies leider zurückgedrängt und mit einem Wahn nach Preisstabilität ersetzt. Dafür wurde sogar ein gewisses Level an Arbeitslosigkeit als wirtschaftspolitisches Mittel: NAIRU Non Accelerating inflationary rate of unemployment. Eine Reservearmee von Arbeitslosen wird genutzt, um Forderungen nach Lohnerhöhungen zu disziplinieren und eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.
Vollbeschäftigung und Preisstabilität werden als Widerspruch gesehen
Sobald die inflationsstabile Beschäftigungsquote erreicht ist, werden wirtschaftspolitische Maßnahmen getroffen, um einen weiteren Rückgang zu verhindern.
Das entlarvt das Argument, Arbeitslosigkeit wäre ein Problem individueller Wettbewerbsfähigkeit.
Jetzt brauchen wir jede Arbeitskraft/ Vollbeschäftigung, um die enorme Transformation zu stemmen und wieder eine funktionierende soziale Infrastruktur aufzubauen.
GWÖ-Ziele sollten sein:
- Jahrtausend-Transformation in fossilfreie Produktion, Mobilität und Energie mit allen zur Verfügung stehenden Arbeitskräften zu stemmen
- Vollbeschäftigung zu erreichen
- Arbeitslosigkeit mit all seinen sozialen
- psychologischen Folgen verhindern
Preisstabilität zu halten
Die GWÖ-Ziele lassen sich mit dem Modell der Jobgarantie umsetzen.
Jobgarantie (JG)
Die JG bedeutet das Ende eine Reservearmee von Arbeitslosen und deren gesellschaftlichen Folgen, sie verbindet Vollbeschäftigung, Preisstabilität sowie diverse sozial-gesellschaftliche Vorteile.
Die JG ist die logische Schlussfolgerung aus der Funktionsweise eines staatliches Währungsregimes:
Das Nutzen der staatl. Währung (deren Herausgabe dem monetär souveränen Staat (oder Staatengemeinschaft) obliegt) ermöglicht dem Staat die notwendigen Ressourcen zur Erfüllung der Aufgaben für ein möglichst großes Gemeinwohl zu mobilisieren. Der Staat erhebt eine Steuer, die nur in der staatl. Währung bezahlt werden kann, so dass Nachfrage nach der Währung besteht. An diese gelangen sie, wenn sie ihre Arbeitskraft gegen staatliche Währung anbieten, die ausschließlich und unbegrenzt vom Staat geschöpft wird.
Die staatl. Währung ist in diesem Sinne eine Marktlösung für das Versorgungsproblem. In dieser Logik entsteht Arbeitslosigkeit, wenn der Staat nicht genug Arbeitskräfte angestellt hat bzw. zu geringen Staatsausgaben getätigt hat, damit die Aufgaben zur Schaffung des Gemeinwohls erfüllt werden. Arbeitslosigkeit ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung des Staates und folglich ein Beweis dafür dass der Staat einen Fehler gemacht hat: Dann sind seine Staatsausgaben zu gering/Aufträge an die freie Wirtschaft zur gering.
Mit der Jobgarantie (JG) kann der Staat die Staatsausgaben um genau die Menge erhöhen, die benötigt wird, um Vollbeschäftigung zu erreichen.
Die instabile Dynamik der Marktwirtschaft führt immer wieder zu Arbeitslosigkeit. Löhne für Unternehmen Kosten, also versuchen zu minimieren, um Profit zu steigern.
Der Staat ist die einzige Institution, die Arbeitsstellen unabhängig von Profitabilitätserwägungen anbieten kann.
Der originäre Zweck des Geldsystems: das Ermöglichen einer adäquaten Bewirtschaftung der verfügbaren realen Ressourcen i.S. des Gemeinwohls. Arbeitskräfte dabei eine der wichtigsten Ressourcen!
Das Design der Jobgarantie – passend zur GWÖ
Der Staat macht ein bedingungsloses Jobangebot an jeden, der in einem aufs Gemeinwohl ausgerichteten Job zu einem sozialverträglichen Lohn inklusive Lohnnebenleistungen arbeiten möchte.
Sinn stiftende Arbeitsstelle mit gutem Arbeitsumfeld vor Ort.
Wichtig: eine Option – keine Verpflichtung
Die JG verkörpert die Erkenntnis, dass es die Verantwortung des Staates ist, die nötigen Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wenn der Privatsektor hierzu nicht in der Lage ist. (in einer kapitalistischen Marktwirtschaft auch nicht zu erwarten)
Das JG als ein Pufferbestand an bezahlten Jobs zu verstehen, der expandiert, wenn die privatwirtschaftliche Aktivität zurückgeht und kontrahiert, wenn die privatwirtschaftliche Aktivität steigt. (Staatsausgaben dafür nehmen in Rezession zu, im Boom nehmen sie ab)
Die JG kombiniert die Ziele Vollbeschäftigung der vorhandenen Arbeitskräfte und Preisstabilität. Im Vergleich zum Status Quo ist die JG der humane Weg zur Preisstabilität. (zur Zeit werden die Zinsen hoch gehalten und die Staatsausgaben klein gehalten, um Preisstabilität zu erreichen)
Preisstabilität durch Abkopplung von Preisindizes
Höhe der JG nicht an Preisindizes gekoppelt, nur nach ökonomischen Ermessen und politischen Beschluss verändert (Ökonomin u Vorreiterin der JG , Pavlina Tcherneva schlägt 15 $ für den amerikan. Kontext vor), so bewirkt die JG keine Lohn-Preis-Spirale, der JG-Lohn fungiert als Preisanker.
JG – Art der Beschäftigungsverhältnisse: Vollzeit, Teilzeit, sowie flexible, andersgeartete Arbeitsverhältnisse, um möglichst vielen Lebenssituationen zu entsprechen – von Studenten bis zum Elternteil
JG = Bottom-up-Ansatz – kombiniert den individuellen Wunsch nach kontinuierlicher Beschäftigung mit den Bedürfnissen von Städten u Gemeinden.
Verwaltung auf Stadt u Gemeindeebene: Schaffung von lokalen Jobs, die dem Gemeinwohl dienen.
Welche Jobs für JG-Projekte?
Nicht großangelegte Infrastrukturproejekte oder unverzichtbare öffentliche Dienstleistungen, das JG ja als Pufferbestand flexibel auf die Aktivität des Privatsektor reagiert (aufgebaut und abgebaut wird)
also: gemeinwohlorientieret Beschäftigung, die auf die Verbesserung des Zustandes der Stadt / Gemeinde ausgerichtet ist, sowie jene die vom Privatsektor nur unzureichend abgedeckt werden, JG-Projekte wie:
aus den Bereichen Bildung, Ausbildung, Pflege, Kunst, Umweltmanagement, Stadtpflege, lokale Lebensmittelproduktion oder Sicherheit, außerdem als JG-Beschäftigung vergütet: Oftmals unvergütete häusliche Arbeit u Pflege, wie z.B. Kindererziehung oder die Krankheits- oder altersbedingte Pflege von Familienmitgliedern
Für wen?
JG-Praktika für Jugendliche, Veteranen, gefährdete Jugendliche, ehemalige Häftlinge
JG hilft insbesondere denjenigen, die im System benachteiligt sind, Menschen mit Behinderung, Menschen ohne Qualifikationen, geringen Deutschkenntnisse:
Würde- u bedeutungsvolle Beschäftigung, mit all den sozialpsycholog. Vorteilen, wie z.B. soziale Integration
Wo?
Gemeinden, Städten, Non-Profit-Organisationen, vorgeschlagene Projekte – vorausgesetzt, sie dienen dem Gemeinwohl, z.B.
Künstlerkollektive, die kostenlose Kunst, Musikkurse, Kurse für alternatives Erlernen des Lebens u Schreibens für Jugendliche mit bes. Bedürfnissen, diverse Kunstprojekte zur Verschönerung des Stadtbildes
z.B. Wiederaufforstungsmaßnahmen, Renaturierung, Begrünungsprojekte, Pflegearbeiten von Parks oder Spielplätzen
Die JG ist weder darauf ausgelegt, mit dem Privatsektor in Konkurrenz zu treten noch reguläre Beschäftigung zu ersetzen.
Wichtig: die öffentliche Daseinsvorsorge muss ausgeweitet werden und damit auch die reguläre öffentliche Beschäftigung – dafür ist die JG kein Ersatz! Die JG ist für diejenigen Personen, die ohne JG beschäftigungslos blieben, nachdem der Staat genügend Arbeitskräfte für die Erfüllung seiner öffentlichen Ausgaben und einer erstklassigen Versorgung mit öffentlichen Gütern rekrutiert und der Privatsektor eine der Gesamtnachfrage entsprechende Beschäftigungshöhe hergestellt hat.
Zur Verwaltung der Jobgarantie:
etablierte Arbeitslosenzentren zu Beschäftigungszentren umgestalten, das JG Arbeitskräfteangebot mit den Bedürfnissen der Stadt/ Gemeinde zusammenbringen
Wichtig: Arbeitslosengeld, staatliche Fiskalpolitik, die auf Vollbeschäftigung ausgerichtet, bleibt bei JG unverzichtbar.
JG-Lohn wird zum effektiven, nationalen Mindestlohn
der Privatsektor muss folglich zur Rekrutierung von Arbeitskräften ein besseres Angebot das in der JG machen müssen.
JG zieht eine effektive Untergrenze an akzeptablen Arbeitsbedingungen in den Arbeitsmarkt ein. Die JG ist ein Mittel, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lohn, über nichtgeldliche Leistungen bin hin zu Arbeitsatmosphäre im Privatsektor zu entwickeln.
In der derzeitigen Situation, in der unfreiwillige Arbeitslosigkeit permanent existiert, sind die Kräfteverteilungen u Verhandlungspositionen auf dem Arbeitsmarkt asymmetrisch zugunsten des Arbeitgebers verteilt. Im neoliberalen Zeitalter hat auch die Gewerkschaftszugehörigkeit abgenommen. (Deregulierung des Arbeitsmarktes zu Gunsten der Arbeitgeber wurde im Sinne der Angebotspolitik verfolgt.)
Jobgarantie finanzierbar?
Ein Staat oder Staatengemeinschaft, der seine eigene Währung herausgibt, hat keine finanziellen Grenzen und kann sich das Projekt leisten.
In Euroländern ohne monetäre Souveränität wird die Finanzierung zur Frage von politischen Prioritäten.
Der Zweck des Geldsystems ist die adäquate Ressourcen-Bewirtschaftung. Wenn der Wille zur JG da ist, und die aktuelle institutionelle Ausgestaltung des Geldsystems dem Staat die Hände bindet, dann ist die Ausgestaltung des Geldsystems zu hinterfragen.
Reformieren oder Verlassen einer Währungsunion, um, den Green New Deal zu ermöglichen.
Jobgarantie als makroökonomisches Steuerungstool
JG wirkt als antizyklischer Stabilisator, in Zeiten Rezession Staatsausgabenanstieg für JG wirkt stimulierend, wie auch das jetzige Arbeitslosengeld, mit dem Unterschied, dass die JG eben nicht nur die Einkommens- sondern auch den Beschäftigungsverlust kompensiert.
Änderung des Konsumverhaltens ist kleiner bei JG als bei reinem Arbeitslosengeld
Preisstabilität durch Jobgarantie
während beim neoliberalen NAIRU Ansatz ein Pufferbestand an Arbeitslosen zwecks Preisstabilität missbraucht wird, setzt die JG auf einen Pufferbestand an Beschäftigten.
Die JG hilft mit Stabilisierung des Konjunkturzyklus dabei, sowohl inflationäre als deflationäre Tendenzen abzumildern
Bei Inflation durch zu hohe Nachfrage verhindert die JG, dass die Wirtschaftspolitische Nachfragereduzierung zu Arbeitslosigkeit führt.
Bei Inflation durch Angebotsengpässen (Angebotsinflation wie in der Gas Krise) kann die JG die Herstellung von Alternativprodukten (Energie, Lebensmittel) herstellen.
Vorteil: Arbeitnehmer können schneller von JG in Privatsektor wechseln als von Arbeitslosigkeit in den Privatsektor.
Bei erhöhter Nachfrage kann der Privatsektor so auch schneller die Absatzmenge erhöhen anstatt, den Preis zu erheben. (Absatzmarkt vergrößern)
Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) im Vergleich zu Jobgarantie
BGE zielt nicht auf eine Reduzierung von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, sondern nur auf Einkommenskompensation durch universelle Transferzahlungen.
Die Jobgarantie bekämpft das Entstehen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen finanziellen und sozialen Konsequenzen.
Das BGE vernachlässigt die nichtmonetären, sozialgesellschaftlichen und psychologischen Kosten von Arbeitslosigkeit, die schwerer wiegen als der bloße Einkommensverlust.
Das BGE und dessen Befürworter vernachlässigen, dass das Entstehen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit Ausdruck eines wirtschaftspolitischen Fehlers ist – genauer gesagt zu geringe Netto-Ausgaben des Staates -, dessen Verantwortung die jeweilige Regierung trägt.
Das BGE ist nur auf die Milderung der Symptome und nicht auf die Bekämpfung der Ursache ausgerichtet.
Die Jobgarantie bildet Untergrenzen für akzeptable Löhne und Arbeitsbedingungen und ist dadurch ein Hebel, Arbeitsbedingungen im Privatsektor zu verbessern,
Das BGE wirkt eher als Kompensation für niedrige Löhne sowie schlechte Arbeitsstandards und geht unter Umständen sogar mit einem Anpassungsdruck nach unten einher.
Da das Risiko, in die Arbeitslosigkeit zu rutschen bei Einführung eines BGEs in gleicher Weise bestehen bliebe, korrigiert das BGE nicht die asymmetrische Machtverteilung der Akteure auf dem Arbeitsmarkt.
Das BGE fördert weiter die Ungleichheit, sofern es keine steuerpolitischen Gegenmaßnahmen gibt.
Im Gegensatz zu Vermögenden nutzen diejenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung das BGE fast ausschließlich für Konsumausgaben. Für diejenigen am oberen Ende der Einkommensverteilung wird das BGE allerdings nicht für Konsumausgaben benötigt u. stattdessen in zinsbringende Finanzanlagen investiert, wodurch die Ungleichheit zunimmt und der Demokratie ein Bärendienst erwiesen wird.
Wir brauchen auf der Produktionsseite auch die Arbeitskraft, die die große Transformation ermöglicht. Und im Wohlfahrtsstaat brauchen wir die Arbeitskräfte in gemeinnützigen, gemeinwohlfördernden Bereichen.
Soziale Gerechtigkeit – Beitrag zum Gemeinwohl
Bisher waren Soziale Sicherheitsprogramme immer an diejenigen gerichtet, die davon ausgeschlossen waren, mit ihren Arbeitsleistungen zur Gesellschaft und dem Gemeinwohl beizutragen – alters- oder gesundheitsbedingt.
Das BGE bricht mit dieser sozialen Idee, indem es bedingungslose Transferzahlungen – unabhängig von der individuellen Fähigkeit, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten verspricht.
Letztlich kann das BGE aber nur die Konsumgüter kaufen, die andere produzieret haben. Es muss also jemanden geben, der seine Zeit und Mühe der Arbeit zuwendet, die nötig ist, um die Güter und Dienstleistungen für die Empfänger des BGEs herzustellen. Dies wirft die Frage auf, bis zu welchem Grad es gerechtfertigt ist, dass diejenigen, die körperlich und mental fähig wären, zu arbeiten und damit zur Produktion beizutragen, Anspruch auf die Früchte der Arbeit Anderer haben, ohne selbst etwas dazu beigesteuert zu haben?
Wenn den Menschen alle vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht zusagen und unpassend erscheinen, können sie in der Jobgarantie mit Jobs, die zu ihrer Qualifikation und Motivation passen zum Gemeinwohl beitragen. Beim BGE gibt es diese Möglichkeit nicht.
Die BGE-Befürworter argumentieren oft mit der Verdrängung von Arbeit durch Roboter. Ja, wahrscheinlich wird die Automatisierung aktuell bestehende Jobs übernehmen können – hoffentlich sogar! Die Hoffnung muss sein, dass Automatisierung so viele für uns unangenehme Arbeit wie möglich übernimmt. Die daraus frei werden Kräfte können dann für Tätigkeiten genutzt werden, die bisher noch gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße erbracht werden, aber das Gemeinwohl fördern. Sinnvolle gemeinwohlfördernde Tätigkeiten sind nicht knapp und kaum von Robotern ersetzbar. z.B. im Bildungs- oder Pflegebereich)
Aus makroökonomischer Perspektive bewirkt das BGE einen einmaligen Einkommensschub, ist doch kein Tool, um die Gesamtnachfrage der Wirtschaft zu steuern.
Die Jobgarantie auf der anderen Seite wirkt als automatischer antizyklischer Stabilisator, der die notwendigen Impulse liefert, um wirtschaftliche Abschwünge aufzuhalten.
Zudem beinhaltet das BGE keinen Mechanismus zur Sicherstellung von Preisstabilität.
Preisstabilität
BGE baut auf der Idee des Pufferbstandes an unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zwecks Erreichung von Preisstabilität.
Jobgarantie liefert eine ökonomisch überlegenere Alternative, in dem Preisstabilität mit einem Pufferbestand an produktiven Beschäftigten erreicht wird. Im Aufschwung können diese schneller in den Privatsektor wechseln.
Während manche BGE-Befürworter eine Kopplung an Preisindizes fordern, ist der JG-Lohn explizit nicht an Preisindizes gebunden, um das Befeuern der Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden.
(Wenn der Einkommensschub bei der Einführung des BEGs über die Außenhandelsbilanz und eine mögliche Währungsabwertung zu importierter Inflation führt, hat das BGE keinen Mechanismus, um die Inflation abzumildern.)
Die größte Herausforderung
Das BGE bewirkt keinen Strukturwandel. Einen umfassenden und zeitnahen Strukturwandel erfordern aber die mit dem Klimawandel verbundenen Herausforderungen: eingesetzte Ressourcen Technologie wie Arbeitskraft müssen von umweltschädlichen zu umweltfreundlichen Produktionsformen und Tätigkeiten verlagert werden. Das Schwierigste dabei ist, die Verlagerung von Arbeitnehmern von einem zu einem anderen Berufsstand.
Damit die Menschen dazu bereit sind neue Jobs zu erlernen, müssen die Reformen sie sozioökonomisch besserstellen. Die Jobgarantie ist für solchen Strukturwandel und für einen Green New Deal von großer Bedeutung.
Makroökonomisch als auch nach sozialgesellschaftlichen Maßstäben ist die Jobgarantie dem BGE überlegen.
Deswegen verdient sie eine größere Resonanz im öffentlichen Diskurs.
Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)
Das BGE ist eine Idee von Milton Friedman & Friedrich August Hayek, den Vorreitern der Neoliberalen Schule.
Wie sollen wir die größte Transformation aller Zeiten stemmen, wenn die Notwendigkeit, Geld zu verdienen/ eine Arbeitsstelle anzutreten überflüssig wird.
Die Mieten und alle anderen Preise werden natürlich stark steigen, hätten wir das BGE. Es ist das Gegenteil von einem sozialpolitischen Konzept.
Das BGE wird von sehr verschiedenen Motivationen aus angestrebt:
Hauptgründe der gesellschaftlichen BGE-Initiativen:
– Leben ohne Arbeiten zu müssen
– Mehr Geld zu haben, um ein kreatives Startup zu gründen
– keine erniedrigenden Gänge mehr zur Agentur für Arbeit und zum Sozialamt
– Solidarität, durch Umverteilung von wirtsch. Reichtum an sozial Schwächere
Hauptgründe der Neoliberalen:
– Sozial-Behörden u.a. teure Wohlfahrtsinstitutionen abschaffen
– fast alle bisherigen Sozialleistungen ersetzen
– und den Staatshaushalt in „zweistelliger Milliardenhöhe“ entlasten
– Arbeitslosigkeit erleichtern
– Wegfall der Lohnnebenkosten für Unternehmen
– Abschaffung der Arbeitsmarktpolitik, Fortsetzung der Arbeitsmarkt-Liberalisierung
GWÖ- Ziele sollten sein:
- Jahrtausend-Transformation mit allen zur Verfügung stehenden Arbeitskräften zu stemmen,
- Vollbeschäftigung zu erreichen,
- Arbeitslosigkeit mit all seinen sozialen, psychologischen Folgen verhindern
- Preisstabilität zu halten
Letztere Ziele sind nicht mit dem BGE zu erreichen.
Ja, unsere Struktur der Sozialleistungen ist evtl. dysfunktional, intransparent, oft falsche Anreize schaffend.
Die Frage bleibt, wie viele Menschen müssen arbeiten, den Güterkuchen produzieren, Gemeinwohl fördernde Arbeit verrichten, damit alle versorgt sind.
Die GWÖ-Ziele lassen sich mit dem Modell der Jobgarantie umsetzen nicht jedoch mit dem BGE.
Pro- und Contra-Argumente, nach Gerhard Wegener:
Neoliberales Argument: Ein bedingungsloses Grundeinkommen in existenzsichernde Höhe befreit von lähmender Existenzangst und setzt ungeahntes kreatives Potenzial frei. Es fördert Risikobereitschaft und Unternehmergeist, die eine wesentliche Grundlage für Selbstständigkeit und Innovationen darstellen.
Solidaritätsargument: Ein Grundeinkommen schafft Solidarität, weil es die Umverteilung von wirtschaftlichem Reichtum zugunsten der sozial Schwächeren vorsieht.
Herdprämie-Argument:. eine Art „Herdprämie“ für all diejenigen, die man in den modernen Arbeitswelten sozusagen nicht mehr „mitschleppen“ will – geringer Qualifizierte und sozial Schwächere und für die dann auch die vielfältigen Verfahren eines aktivieren Sozialstaats zu teuer zu werden drohen
– durch Einführung eines BGE insgesamt die Sozialkosten senken
Das BGE ernsthaft als Alternative zum herkömmlichen Sozialstaat diskutieren
Gründe für Begeisterung von BGE:
1. weitverbreitete Enttäuschung darüber, dass der moderne Sozialstaat nicht mehr in der Lage zu sein scheint, angesichts wachsender sozialer Ungleichheit wirkliche soziale Sicherheit und umfassende Chancengleichheit herzustellen.
Vererbung des sozialen Status und des Vermögens fördert Ungleichheitsverstärkung, Bildungssystem, SGB II-System
2. Die Art und Weise wie von Armut bedrohte Menschen in Deutschland betreut werden bzw. welche letzten Systeme der sozialen Absicherung es in Deutschland gibt. mit Hartz IV/ Bürgergeld assoziierte, wenig ermutigende, sondern zum großen Teil eher demütigende Leistungs‐ und Steuerungsformen, wie insbesondere das Sanktionierungs‐System, das in vielfacher Hinsicht äußerst problematisch ist
Gründe gegen das BGE
1. Ende der institutionellen Fürsorge (Ziel der Neoliberalen)
unmöglich, einen großzügigen Wohlfahrtsstaat aufrecht zu erhalten, wenn man gleichzeitig ein halbwegs angemessen hohes Grundeinkommen an alle Bewohner eines Landes zahlen will. Man muss sich also entscheiden, was man will: ein ausgebautes System von fürsorgenden Institutionen, das staatlich finanziert wird – oder die Auszahlung der entsprechenden Gelder an jeden Einzelnen.
institutionellen Leistungen/ der deutsche Sozialstaat bisher:
Kindergeld und Kinderfreibeträgen,
Schulsystem, über Ausbildungseinrichtungen, von
Kindergärten bis hin zur Gesundheitsversorgung,
von den Sozialleistungen für Menschen mit Behinderungen
bis hin zum sozialen Wohnungsbau,
von aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie Arbeitsvermittlung und Kurzarbeitergeld und Arbeitsverwaltung, das BAföG,
das Kindergeld, die steuerlichen Freigrenzen für Kinder
Die Abschaffung dieser Einrichtungen gehört bei nicht wenigen
Vertretern des BGE auch ideologisch zum Kern der ganzen Reform:
Ein vollentwickelter Sozialstaat garantiert als staatliches Recht, dass grundlegende
menschliche Bedürfnisse für alle befriedigt werden. Dieses Grundrecht wird mit dem
Grundeinkommen quasi monetarisiert, so als erschöpften sich die Fürsorgepflicht des Staates für seine Bürger und die Solidarität der Bürger untereinander in der Überweisung von Geldbeträgen
Sozialstaat mit Wohlfahrtsinstitutionen oder BGE, beides auf Dauer kaum bezahlbar
2. Privatisierung von Risiken
Der Wohlfahrtsstaat kann die Ungleichheiten besser reduzieren als das BGE. Alter liberaler Irrtum: formale Freiheitsrechte für alle sorgen schon für reale Gleichheit. Gleiche formale Freiheiten sorgen nur unter Gleichen für Gleichheit – ansonsten verstärken sie Ungleichheit.
Und das ist auch das, was beim BGE geschehen würde. Für die einen mit „guten“ Voraussetzungen wäre es eine schöne Ermutigung und Startbasis ins Leben – für die anderen das Abspeisen mit dem, was vom Tisch herunterfällt. Es verändert nicht, dass für Kinder in prekären soziokulturellen Verhältnissen geringere Bildungs-Chancen haben. Um das zu ändern reicht nicht die schlichte Überweisung eines pauschalen Geldbetrages.
Bisher Konsens: spezifische Bedürfnislagen, wie zum Beispiel für in Not und Armut geratene Menschen, nicht nur eine möglichst ausreichende materielle
Absicherung gibt, sondern auch zugleich Fürsorge
und befähigende Institutionen, die sich in vielfältiger Weise der betreffenden Menschen annehmen.
Gefüge von Institutionen u Einrichtungen (über Jahrhunderte gewachsen) mit Sozialarbeitern und Fallmanagern, Beratungsstellen von Wohlfahrtsverbänden, kann immer verbessert werden, aber sie abzuschaffen, würde heißen, es gibt keine Menschen mehr, die Verantwortung für schwache übernehmen, die ihrer Verantwortung selbst nicht gerecht werden.
Das BGE würde auf Dauer zur Abschaffung der Sozialämter, der aktiven Arbeitsmarktpolitik führen.
Der große Vorteil des BGE, dass sich niemand mehr als besonders bedürftig für seinen Bezug erweisen müsste, wird sich zum Nachteil für jene auswirken, für die der Sozialstaat bisher Unterstützung bereithält.
Arbeitslosigkeit zu beenden, wäre freiwillig, nicht notwendig.